Nach den Explosionen im Iran sprach die Regierung von einer Terrorattacke. Der IS hat sich zu der Tat bekannt.
04.01.24, 17:18
Von Juri Wegner
Einen Tag nach dem verheerenden Anschlag in der iranischen Stadt Kerman mit rund 80 Toten ist noch vieles unklar. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.
Am Mittwoch explodierten in der iranischen Stadt Kemal bei einer Gedenkfeier für den getöteten iranischen General Ghassem Soleimani zwei Sprengsätze, die laut aktuellen Zahlen 84 Todesopfer forderten. Staatsmedien sprachen zunächst von 103 Toten, korrigierten ihre Aussagen jedoch nach Verweis auf die chaotischen Zustände, die zu Doppelungen bei den Zählungen führten. Zudem wurden mehr als 200 Menschen verletzt, 30 davon befinden sich weiterhin im kritischen Zustand.
Als Täter wurde der IS bereits im Vorfeld genannt. Ali Fathollah-Nejad, Direktor des "Center for Middle East and Global Order", erinnert im ARD-Interview daran, dass es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge gegeben habe, für die der iranische Staat den IS verantwortlich gemacht habe. "Gleichzeitig haben wir nie wirklich handfeste Beweise gesehen. Es gab ab und zu einige Erklärungen von solchen Organisationen, die sich verantwortlich gezeigt haben. Aber es gibt im Iran wirklich keine Gewissheit, wer hinter diesen Attacken steckt", so der Experte.
Die politische Situation im Iran sei äußerst kompliziert, so Fathollah-Nejad. Innenpolitisch sei das Regime sehr besorgt über die anstehenden Doppelwahlen (Parlament und Expertenrat, der den nächsten obersten Führer wählen soll). Es wird mit einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet. Der Anschlag könne auch instrumentalisiert werden, um die innenpolitische Lage weiter zu militarisieren. "Es ist eine sehr komplizierte und fragile Situation für das Regime und die Frage ist, inwieweit solch ein Terroranschlag auch den Interessen des Regimes zugutekommen könnte", so Fathollah-Nejad.
Wie fielen die Reaktionen aus?
Irans Regierung verurteilte den Angriff auf Schärfste und sprach von einer Terrorattacke. Staatsoberhaupt Ebrahim Raisi und Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei kündigten eine entschiedene Reaktion an. Raisi schrieb auf X, ehemals Twitter: „Mit Gottes Erlaubnis wird die Hand der göttlichen Rache zur rechten Zeit und am rechten Ort erscheinen.“ Sein Berater Mohammed Dschamschidi machte nach dem Anschlag den Westen dafür verantwortlich. Laut ihm liege die „Verantwortung für dieses Verbrechen […] bei den USA und dem zionistischen Regime“, wobei der Terrorismus „nur ein Werkzeug“ sei.
Die US-Regierung wies Behauptungen über eine Beteiligung an dem Anschlag zurück. Jede gegenteilige Behauptung sei „lächerlich“. „Die Vereinigten Staaten waren in keiner Weise beteiligt“, so Matthew Miller, der Sprecher des US-Außenministeriums, am Mittwoch in Washington.
Auch der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte „den Terrorismus in all seinen Formen auf Schärfste“ und sprach der iranischen Regierung sein Beileid aus. Russland und Iran gelten als eng Verbündete und fielen im Ukraine-Krieg durch gegenseitige Unterstützung, sowie Waffenlieferungen und Drohneneinsätze auf.
Die Europäische Union bezeichnete den Bombenanschlag als „Terrorakt“ und brachte in einer Erklärung des Europäischen Auswärtigen Dienstes ihre Solidarität „mit dem iranischen Volk“ zum Ausdruck.
Wer war Soleimani?
Ghassem Soleimani war der frühere Kommandeur der Auslandseinheiten der iranischen Revolutionswächter (IRGC). Die USA hatten ihn am 3. Januar 2020 im Irak durch einen Drohnenangriff getötet. Von systemtreuen Regierungsanhängern als Märtyrer verehrt, taucht sein Gesicht auch in Teheran, der Hauptstadt des Irans, an vielen Häuserfassaden auf. Kerman war die Heimat Soleimanis.
Angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten wird die Sorge vor einer Ausweitung des Gaza-Kriegs immer größer. Besonders die Provokationen und Anschuldigungen des Irans und der libanesischen Hisbollah gegen Israel und die USA bieten Nährboden für Eskalation. Zudem erfolgten die Anschläge in Kerman nur einen Tag, nachdem in der Hauptstadt des Libanon, Beirut, der hochrangige Hamas- Anführer Saleh al-Aruri von einer mutmaßlich israelischen Drohne getötet wurde, woraufhin der Hisbollah- Chef Hassan Nasrallah Vergeltung ankündigte. Wie sich die Anspannung nun verlagern wird, da der IS den Anschlag für sich reklamiert, ist noch offen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein weiterer Krieg im Nahen Osten ausbricht?
Tatsächlich kommt es seit Kurzem immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel. Ein Gebiet von ca. vier Kilometern Länge wurde von Israel zur Sperrzone erklärt und mehrere israelische Gemeinden wurden evakuiert. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte die Hisbollah aber ausdrücklich vor einer weiteren Eskalation der Gewalt: „Für die Hisbollah und den Libanon wird das verheerende Folgen haben.“
In einer Rede am Mittwochabend reagierte Hisbollah-Führer Nasrallah darauf mit den Worten: „Wer über einen Krieg mit uns nachdenkt, wird es bereuen. Er warnte davor, dass sich die libanesischen Kämpfer an keine Regeln mehr halten würde, wenn Israel einen Krieg in Erwägung zöge.
Laut Experten wie Heiko Wimmen der International Crisis Group sei die Miliz jedoch nicht versessen darauf, in diesen Krieg hineingezogen zu werden. Vielmehr hoffe sie, dass die verbündete Hamas den Israelis ausreichend Verluste zufügen kann, dass es letzten Endes zu einer Kompromisslösung komme. Jedoch bleibt die Gefahr, dass irgendwann im Verlauf dieses „Kleinkriegs“, der aktuell an der Grenze herrscht, eine der beiden Seiten etwas trifft, das für die andere Seite so schmerzhaft ist, dass ein massiver Vergeltungsschlag folgen muss. Was eine weitere Eskalation hervorrufen könnte.
Auch ein hoher US-Beamter erklärte, nach aktuellem Wissen gebe es keinen „eindeutigen Drang der Hisbollah, gegen Israel in den Krieg zu ziehen und umgekehrt.“
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Die Hisbollah, die schiitische „Partei Gottes“, wurde 1982 inmitten des libanesischen Bürgerkriegs, der damals bereits seit sieben Jahren tobte, gegründet. Sie besteht sowohl aus einer politischen Partei als auch einer bewaffneten Miliz und orientiert sich in ihren Leitbildern an islamistischen Positionen wie einer stark anti-westlichen Haltung und dem Wunsch der Stärkung der Schiiten weltweit. Aber auch libanesische Realpolitik und der militärische Kampf gegen Israel sind wichtiger Bestandteil der Organisation.
Die Hisbollah gehört zusammen mit dem Iran, dem Asad-Regime in Syrien und der palästinensischen Hamas zur sogenannten „Achse des Widerstands“, einem primär anti-westlich und anti-israelisch ausgerichteten Bündnis unter Führung der iranischen Regierung.
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