Warum ein iranischer Vergeltungsschlag gegen Israel ausbleiben könnte
Ali Khamenei habe die Wahl zwischen zwei schlechten Optionen, sagt Iranist Walter Posch und zeigt weitere Probleme der strategischen und sicherheitspolitischen Situation des Iran auf.
Zwei Wochen ist es her, dass Hamas-Führer Ismail Haniyeh in Teheran – wohl von israelischen Diensten – getötet wurde. Seit zwei Wochen schwören der Iran und seine Verbündeten Rache, bereiten sich die Menschen in Israel auf einen Vergeltungsschlag der Islamischen Republik vor. Die israelischen Verteidigungskräfte sind in höchster Alarmbereitschaft, arabische Staaten wie Jordanien sind bereit, Drohnen und Raketen über ihrem Staatsgebiet abzufangen, die USA schicken Flugzeugträger in die Region – doch noch ist der iranische Angriff ausgeblieben.
"Rache ist die Pflicht des Iran"
Am Dienstag verkündeten iranische Beamte, würde es am Donnerstag zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen kommen, könnte man „dadurch den Iran von direkten Vergeltungsmaßnahmen abhalten“. Wie kam es zu diesem Wechsel in der iranischen Rhetorik? „Rache ist die Pflicht des Iran“, tönte Irans Oberster Führer, Ali Khamenei, einen Tag nach dem Attentat auf Haniyeh.
„Khamenei hat die Wahl zwischen zwei schlechten Optionen“, sagt Iran-Experte Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktforschung an der Landesverteidigungsakademie (LAVAK).
„Entweder lässt er Israel mit allen zur Verfügung stehenden Raketen angreifen – das kann er allerdings nur einmal tun. Und nicht nur die israelische, sondern auch die US-Politik wird sich dann radikal ändern. Damit würde er sein Lebenswerk vernichten, das auf Zurückhaltung gegenüber Israel beruht, wenn es um direkte Konflikte geht.“ Die Solidarität mit den Palästinensern sei seit dem 7. Oktober vor allem verbal erfolgt, ansonsten habe man sich zurückgehalten. „Für einen Staat, der sich als revolutionär begreift, ist das schlimm. Und so ist aus iranischer Sicht auch die zweite Option“, sagt Posch. „Nichts zu tun, die große Schmach, dass mitten in der Hauptstadt ein prominenter Staatsgast getötet werden konnte, hinzunehmen.“
Dazu komme, dass der Iran strategisch hoffnungslos überdehnt sei: „Im Osten sterben jeden Tag Soldaten im Kampf gegen Drogenbanden und verschiedene Separatisten- oder Terrorgruppen. Mit den Taliban haben sich die Beziehungen zwar normalisiert, im Ernstfall stehen dem Iran mit ihnen dennoch unfreiwillig durch die USA hochgerüstete Truppen gegenüber“, sagt Posch, der für die LAVAK kürzlich eine ein Buch über den iranischen Sicherheitsapparat publiziert hat. „Es fehlt das Geld für menschenwürdige Unterkünfte für die Grenztruppen im Osten, während Spezialeinheiten in Syrien operieren.“ Auch an der Westgrenze könnten – auch wenn die Lage derzeit verhältnismäßig ruhig sei – jederzeit neue Spannungen auftreten, vor allem in den Kurdengebieten.
"Man kann die Huthis nicht kontrollieren"
Während der Iran die Hisbollah im Libanon nach Kräften unterstütze, sei das Verhältnis zu den jemenitischen Huthi-Rebellen schwieriger: „Man kann die Huthis nicht kontrollieren – sie haben den Iranern etwa kein Mitspracherecht über den Einsatz der von ihnen gelieferten Raketen eingeräumt. Wenn ich als iranische Regierung ein normalisiertes Verhältnis zu den Saudis will und die Huthis vorbehaltlos unterstütze, ist das gelinde gesagt schwierig“, konstatiert Posch.
In seiner Publikation befasst er sich unter anderem mit der künftigen Rolle der iranischen Revolutionsgarden und kommt zum Schluss, dass eine weitreichende Reform des Sicherheitsapparats bevorstünde: „Bereits jetzt werden Teile der Revolutionsgarden spezialisiert, trägt etwa deren Marine eine weiße Uniform und nicht mehr das einheitliche Grün der Garde.
Die Doppelgleisigkeiten zwischen Armee und Revolutionsgarden – etwa zwei Militärakademien – dürften abgebaut werden und es deutet darauf hin, dass die Revolutionsgarden unter das Kommando der Armee kommen“, sagt Posch. Eine Professionalisierung täte not, blicke man etwa auf die Aufgabe des Personenschutzes, den die Revolutionsgarden innehaben: „Der Helikopterabsturz Raisis und die Tötung Haniyehs sprechen eine deutliche Sprache.“
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