45 Jahre nach Geiseldrama in US-Botschaft: "Iran fügt der Welt Schmerz zu"
Sie gehört noch immer zu den größten außenpolitischen Niederlagen der USA und hat den Grundstein für die Feindschaft zwischen den ehemals befreundeten Ländern gelegt. Die über einjährige Geiselnahme von 52 US-Botschaftsmitgliedern bietet bis heute Stoff für Dokumentationen und Verfilmungen.
Barry Rosen war damals als Presse-Attaché in der US-Botschaft stationiert. Seine Liebe zum Iran reicht aber zu den 60er-Jahren zurück, als er im Rahmen des US-Friedenskorps in den Iran kam, die Sprache lernte und ein zweites Zuhause fand. Doch dieses wurde mit der Islamischen Revolution bald zu einem Gefängnis, in dem er gefesselt und geschlagen wurde und Scheinhinrichtungen durchleben musste.
KURIER: Es sind 45 Jahre seit der Islamischen Revolution vergangen – haben die Iraner bekommen, was sie wollten?
Barry Rosen: Ich glaube nicht, dass irgendjemandem damals klar war, was gerade passiert. Der Schah hatte den Iran gerade verlassen und viele Iraner wollten eine Demokratie, es gab die extremen Linken und das islamische Netzwerk. Auf den Straßen herrschte enormes Chaos und die Übergangsregierung hatte große Probleme sich durchzusetzen, während andere dabei waren, die Islamische Verfassung aufzusetzen.
Die Geiselnahme in der US-Botschaft war erst im November, aber die Botschaft wurde schon am 14. Februar 1979 von Radikalen attackiert. Warum sind Sie trotzdem im Iran geblieben?
Ich dachte bei dem Angriff, jetzt werde ich gleich erschossen. Aber die Übergangsregierung hat Truppen geschickt, um uns zu helfen. Letztendlich wollten die USA die bisher guten Beziehungen zum Iran aufrecht erhalten – immerhin waren wir damals noch mitten im Kalten Krieg. Es war mein Ego, das zurück wollte und ich wollte auch ein gutes Mitglied des Außendienstes sein. Ich bin im März zurückgekehrt – allerdings waren wir dann nur noch 70 Mitglieder auf unserem Botschaftsgelände, das mitten in Teheran und über 10 Hektar groß war. Die Kommunikation mit der Übergangsregierung wurde in den folgenden Monaten um nichts besser. Das waren eigentlich schon die ersten Zeichen, dass die Beziehungen zum Iran sehr dürftig werden.
Sie waren 444 Tage in der Geiselhaft von Islamisten. Dieser Tage lesen wir viel über die israelischen Geiseln. Welche Gefühle kommen da bei Ihnen hoch?
Ich fühle mich als wäre unsere DNA in vielerlei Hinsicht verbunden. Die Situation ist nicht neu für mich, da ich seit vielen Jahren für Doppelstaatsbürger kämpfe, die als Geiseln im Iran festgehalten werden (Anm.: Im Iran sind Dutzende internationale Staatsbürger unter fadenscheinigen Vorwürfen inhaftiert, auch ein Österreicher). Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen damals und der jetzigen Situation: Die USA konnte Konsequenzen ziehen und Vermögen einfrieren. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn ich daran denke, was jeder dieser Menschen durchmacht.
Die Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini wurde vom Westen akzeptiert. Heute kämpfen westliche Staaten gegen diverse Gruppen, die von der iranischen Regierung unterstützt werden. Wurden die Islamisten damals falsch eingeschätzt?
Es gab viel Skepsis. Und es war nicht so, als hätte die internationale Welt Khomeini einfach so als legitimen Führer akzeptiert. Aber die Revolution hat den Schah weggeschwemmt und Khomeini hat dieses Vakuum gefüllt. Die Geiselkrise, bei der wir gefangen genommen wurden, war eine Gelegenheit für Khomeini, seine Macht zu festigen, eine islamische Republik zu institutionalisieren und sich als ultimativen Machthaber zu positionieren. Die Situation war ein Schock für den Westen. Damals hatte ja auch Israel noch eine Botschaft im Iran, es gab viele israelische Geschäftsleute. Doch plötzlich gab es keine Alternative: Khomeini war an der Macht und die USA mussten die neue Situation akzeptieren.
Demonstrationen gegen das Regime gab es von Anfang an, aber sie wurden jedes Mal brutal niedergeschlagen – so wie wir es im vergangenen Jahr bei der „Frau, Leben, Freiheit„-Bewegung beobachten konnten. Warum gelingt es der Bevölkerung nicht, das Mullah-Regime zu stürzen? Ist die Mehrheit sogar dafür?
Ich glaube nicht, dass die Mehrheit dieses Regime unterstützt, aber das Regime hat die ganze Macht in der Hand. Frauen im Iran haben immer eine große Rolle gespielt, sie sind sehr gebildet und wichtige Führungspersönlichkeiten. Deshalb ist das Kopftuch ein Grundstein für dieses Regime. Aber es fehlt die politische Allianz zwischen der Mittelschicht, den Händlern und den anderen Bevölkerungsteilen. Es braucht eine solide politische Bewegung und Waffen, die die Bevölkerung nicht hat. Auf der anderen Seite ist das Regime bereit jeden zu töten oder zu verhaften, der auch nur die Idee einer Opposition verbreitet.
Vor zwei Jahren sind Sie gegen den Atomdeal in den Hungerstreik getreten, um sich für die Freilassung internationaler Geiseln im Iran einzusetzen. Inzwischen ist der Deal noch immer offen, der Iran kommt täglich der Atombombe näher und die USA haben 6 Milliarden Dollar an das Regime freigegeben, um US-Geiseln freizupressen.
Damals habe ich es nicht mehr ausgehalten, es hat schon so lange gedauert. Manche Menschen waren schon neun Jahre in Geiselhaft des iranischen Regimes und es ging nichts weiter. Ich hatte das Gefühl, ich muss etwas tun. Aktuell ist die Lage seit den drei getöteten US-Amerikanern in Jordanien extrem angespannt. Ich weiß nicht, was in den nächsten Tagen passieren wird. Es gibt viele Mutmaßungen darüber, wie viel Kontrolle der Iran über die Allianzen hat. Er versorgt sie mit Waffen und Informationen, aber drückt er auch die Knöpfe? Ich frage mich, was der nächste Schritt sein wird und ob wir in etwas geraten, aus dem wir nicht mehr herauskommen.
Was ist mit der EU?
Die Europäische Union sollte sich komplett vom Iran distanzieren, Botschafter ausweisen und die Beziehungen abbrechen. Es herrscht eine Naivität, dass man mit dem iranischen Regime wie mit einem normalen Staat umgehen kann. Es gibt genug Beweise, um zu sagen, wir wollen keine Beziehungen mehr zum Iran. Aber es gibt wirtschaftliche Gründe und die halten die Beziehungen aufrecht. Und die Naivität, dass man den Schmerz mindern kann, den der Iran der ganzen Welt zufügt.
16. Jänner 1979
Unter dem hohen Druck der Bevölkerung und nachdem westliche Staaten Gesprächsbereitschaft mit Ayatollah Khomeini zeigen, verlässt Schah Mohammad Reza Pahlavi mit seinem engsten Kreis den Iran
1. Februar 1979
Khomeini kehrt aus dem Exil in Paris nach Teheran zurück und wird von begeisterten Massen empfangen
1. April 1979
Khomeini ruft schon vor dem Ergebnis des Referendums zur Zukunft des Landes die Islamische Republik aus
ab August 1979
Erste Demonstrationen gegen die islamistischen Bewegungen werden blutig niedergeschlagen. Nach Einführung der Islamischen Verfassung und der Kopftuchpflicht gehen Tausende Frauen aus Protest auf die Straße
4. November 1979
Radikale Studenten stürmen die US-Botschaft in Teheran und nehmen 52 Mitarbeiter als Geiseln. Ein Befreiungsversuch im April 1980 scheitert kläglich. Die Geiselnahme dauert bis zum 20. Jänner 1981 und endet mit der Überweisung von eingefrorenem Geld in Höhe von ca. 8 Milliarden Dollar
1980er-Jahre
Tausende Oppositionelle werden hingerichtet. Staatsanwalt ist Ebrahim Raisi, der als „Schlächter von Teheran“ in die Geschichte eingeht. Er ist heute Präsident der Islamischen Republik Iran. Im Herbst 2023 war er bei der UN-Generalversammlung in New York. Der Iran hat zuletzt den Vorsitz für das Sozialforum des UN-Menschenrechtsrats erhalten
Sie kennen den Iran noch aus den 70er-Jahren und es bewegt Sie noch immer, was heute dort passiert. Warum?
Ich war 23 Jahre alt, als ich zum ersten Mal in den Iran reiste und es war meine erste Auslandsreise aus den USA. Ich habe schöne Erfahrungen gemacht, die Kultur ist breit gefächert und die Zivilisation reicht weit zurück. Die Menschen sind sehr anständig und liebenswürdig. Ich denke, dieses Regime ist ein Irrläufer der iranischen Kultur. Ich fühle mich auf gewisse Weise selbst zum Teil als Iraner. Wenn ich sehe, was dort passiert, tut es mir sehr weh und ich frage mich, wie eine Gesellschaft so auf den Kopf gestellt werden kann. Wenn Sie mir in meiner Anfangszeit im Iran gesagt hätten, dass das Land in eine islamische Theokratie wechselt, hätte ich Sie ausgelacht. Manche Dinge, die wir heute im Iran sehen, gehen auf enorme Fehler des Schahs und der USA zurück.
Was vermissen Sie am meisten am Iran?
Ich vermisste die Gastfreundlichkeit der Iraner. Menschen, die Schönheit in Blumen, Vögeln und Gärten sehen. Natürlich vermisste ich die iranische Küche und die großartige Architektur, die Iraner über die Zeiten errichtet haben. Wenn man sich einmal mit einem Iraner anfreundet, stehen er einem für immer zur Seite. Kein Land verdient so ein Regime wie dieses, es ist schwer für mich zu ertragen.
Bald wird im Iran gewählt. Glauben Sie, gibt es in nächster Zeit die Chance auf Veränderung?
Nein. Es ist klar, dass Khamenei den harten Kurs in seinem Parlament beibehalten wird und das inkludiert, Menschen zu töten und sie ins Gefängnis zu stecken, wenn sie sich in den Weg stellen. Er wird bald sterben und will sicherstellen, dass sein Erbe erhalten bleibt.
Was wäre nötig, um eine Veränderung herbeizuführen?
Im Moment ist jede Art von Veränderung ziemlich unrealistisch. Ich würde es lieben, wenn die Iraner das Regime auflösen – aber nur sie. Es ist in ihren Händen. Die Welt kann sie moralisch unterstützen, aber die Iraner müssen selbst diese Revolution erwirken. Und dieses Wie sehe ich nicht. Es fehlt die Fähigkeit, eine Koalition gegen das Regime zu bilden und je mehr diese Welt digitalisiert wird, desto mehr kann das Regime die Gesellschaft kontrollieren. Die Savak-Einheit des Schahs ist nichts gegen den Geheimdienst dieses Regimes. Ich hasse es pessimistisch zu sein, aber ich sehe nichts, das die Situation in den nächsten zehn Jahren ändern würde.
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