Ioan Holender: "Rumänen glauben, dass alle Politiker korrupt sind"

Ioan Holender
Der frühere Staatsoperndirektor über sein Heimatland Rumänien, in dem eine neue Regierung 2021 das Ruder herumreißen will.

Mit einem Drittel seiner Ärzte im Ausland hat Rumänien laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den weltweit höchsten Prozentsatz an Medizinern, die ihre Heimat verlassen haben. „Die Gesundheitslage ist katastrophal“, sagt der frühere Staatsopern-Direktor und gebürtige Rumäne Ioan Holender im Gespräch mit dem KURIER.

Das chronisch unterfinanzierte Gesundheitswesen führte dazu, dass das EU-Land Rumänien von der Coronakrise im Vergleich zu anderen Ländern der Region hart getroffen wurde. Die dadurch weiter gestiegene Unzufriedenheit der Menschen mit den etablierten Parteien manifestierte sich bei den Parlamentswahlen Anfang Dezember. Ihnen blieben mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten fern – ein historischer Höchststand.

Praktisch aus dem Nichts schaffte eine neue, ultra-rechte Partei mit 9 Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament. „Die Menschen glauben, dass alle Politiker korrupt sind, dass sie Posten nur wollen, um sich durch Korruption und Bestechungsgelder zu bereichern“, analysiert Holender, der seit 1959 in Wien lebt, aber weiter eng mit Rumänien verbunden ist, die Ursachen für die Verdrossenheit.

Viel zu tun

Bei den Wahlen erzielten die  seit 2019 regierenden Bürgerlichen (PNL) 25 Prozent der Stimmen, deutlich weniger als die oppositionellen Sozialdemokraten (PSD, 30 Prozent). Die Bürgerlichen stehen dennoch seit der Vorwoche an der Spitze einer Dreier-Koalition  mit dem öko-liberalen Bündnis USR-Plus und einer Partei der ungarischen Minderheit (UDMR). Niemand wollte mit den Sozialdemokraten koalieren, sie gelten weithin als „postkommunistisch“ – was Holender nicht so sieht.

Der neue Premier Florin Citu steht jedenfalls vor großen Herausforderungen. Der 48-jährige Wirtschaftswissenschaftler und Ex-Finanzminister muss nicht nur die Pandemie und ihre ökonomischen Folgen bewältigen, sondern auch die marode Verkehrsinfrastruktur und das Gesundheitssystem auf Vordermann bringen, wobei er auf die EU-Coronahilfen zurückgreifen kann.

Citu verspricht „viel Arbeit und wenig Gerede“ für 2021, auch eine Reform des Justizsystems steht auf dem Plan.

Massive Abwanderung

Dass sich tatsächlich etwas ändert, glauben allerdings nur wenige Rumänen. Koalitionen zerbrechen traditionell vor Ablauf einer Legislaturperiode; zuletzt schaffte es keine Regierung, ob bürgerlich oder sozialdemokratisch, das Land zu stabilisieren.

„Mehr als der 21 Millionen Einwohner haben Rumänien verlassen“, sagt Holender – neben Ärzten vor allem IT-Fachleute. Viele Landsleute arbeiteten auch als Hilfskräfte im Ausland, etwa als Erdbeerpflücker in Spanien oder Italien. Diese hätten großteils die ultra-rechte AUR gewählt.

Der hohe Zuspruch für die Sozialdemokraten hat laut Holender mehrere Gründe. Rumänien habe zwar wirtschaftliche Probleme, grundsätzlich aber kein Problem mit Arbeitslosigkeit. „Im Gegenteil: Aus dem asiatischen Raum kommen Menschen, es gibt chinesische Kellner und philippinische Krankenpfleger“, erzählt der 85-Jährige.

Die Wirtschaft hänge aber immer noch stark an der Industrie, die die Kommunisten nach der Wende hinterlassen hätten. Und vor allem auf dem Land, in der ärmeren Bevölkerung, gebe es große Ängste, das Wenige, das man habe („Haus, Hof, Tiere“), zu verlieren – etwa an ausländische Firmen. Die Erinnerung an früher, an übermächtige Großgrundbesitzer, sei noch präsent.

Hier konnten die Sozialdemokraten mit ihrem Versprechen, die Pensionen um das Vierfache zu erhöhen, punkten. Darüber hinaus, so Holender, wüssten viele Menschen schlicht nicht, wofür kleinere Parteien wie die USR-Plus oder die UMDR stünden; die Sozialdemokraten seien greifbarer.

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