Am Mittwochnachmittag ist es dann so weit. Halit bekommt, was er will: Türkische Kampfjets greifen Stellungen kurdischer Milizen auf der syrischen Seite der Grenze an. Akcakale liegt mitten im Aufmarschgebiet. Eine lange Kolonne weißer Reisebusse mit einer Eskorte aus Militärfahrzeugen und Krankenwagen bewegt sich auf der Schnellstraße aus Norden auf Akcakale zu: Soldaten, die für den Syrien-Einsatz in die Stadt gebracht werden.
Mehrere zehntausend Soldaten und rund 18.000 Ankara-treue syrische Rebellen sollen an der Intervention teilnehmen. Außerhalb von Akcakale sind Haubitzen und Schützenpanzer in Stellung gebracht worden. Bis nach Ceylanpinar, einer Grenzstadt rund 80 Kilometer östlich von Akcakale, haben die Türken ihre Einheiten antreten lassen. Bei Ceylanpinar fliegen die türkischen Jets am Mittwoch ihre ersten Einsätze.
Einwohner von Akcakale berichten, dass die amerikanischen Soldaten auf der syrischen Seite der Grenze verschwunden sind. Die USA haben damit ihre Verbündeten von der syrischen Kurdenmiliz YPG fast schutzlos dem erwarteten türkischen Vorstoß ausgesetzt.
Auch die YPG habe sich deshalb aus einigen Orten an der Grenze zurückgezogen, melden türkische Medien. Kurz nach den ersten türkischen Luftangriffen meldeten türkische Medien, Kurdenkämpfer hätten Ceylanpinar beschossen. Der Krieg kommt also auch in Akcakale immer näher, doch Halit bedient seine Kunden wie immer. „Angst? Warum sollen wir denn Angst haben?“ fragt er anscheinend unerschüttert. „Wir haben doch die türkische Armee.“
Wie die meisten Einwohner der Stadt glaubt er nicht, dass Akcakale erneut vom Krieg getroffen werden wird, wie das im Jahr 2012 der Fall war. Damals schlug eine Rakete aus Syrien in einem Haus auf der türkischen Seite der Grenze ein und tötete fünf Mitglieder einer Familie. Diesmal werden sich die Gefechte wegen der großen Überlegenheit der türkischen Armee wohl auf der syrischen Seite der Trennlinie abspielen, meint ein Mann. Er hofft es jedenfalls.
„Die Leute in der Gegend hier haben sich an den Krieg gewöhnt“, sagt die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die sich in Akcakale um syrische Flüchtlinge kümmert. Rund 50.000 Syrer hat die Kleinstadt aufgenommen: Jeder zweite Bewohner von Akcakale ist ein Flüchtling. Viele sind bei Verwandten untergekommen, andere harren in einem Lager außerhalb der Stadt aus. „Sie sind eine große Last“, sagt Händler Halit über die Flüchtlinge.
Er stimmt Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu, der nach dem Feldzug eine „Sicherheitszone“ im bisherigen YPG-Gebiet in Nord-Syrien einrichten will, um dort mehrere Millionen Syrer aus der Türkei anzusiedeln. Vor allem aber will Erdoğan die YPG aus dem Grenzgebiet vertreiben. Die YPG – der syrische Ableger der kurdischen PKK-Terroristen – sei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Türkei, argumentiert Ankara seit jeher. Das Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien wird in der Türkei dementsprechend der „Terror-Korridor“ genannt.
Seit Jahren kritisiert Erdoğan die Zusammenarbeit der USA mit der YPG, die als amerikanischer Subunternehmer gegen den Islamischen Staat kämpfte und im Gegenzug den Schutz Washingtons für ihre Selbstverwaltung an der türkischen Grenze erhielt. Jetzt glaubt der türkische Staatschef, Donald Trump auf seiner Seite zu haben. Dem US-Präsidenten liegt nicht viel an Syrien oder der YPG. Er will vor allem die US-Soldaten aus Syrien rechtzeitig vor der Wahl im kommenden Jahr nach Hause bringen. Die YPG ist für ihn entbehrlich.
aus AkcakaleHans Jungbluth
Kommentare