Es gibt radikale Islamisten, die einen Hass auf Juden haben. Und es gibt Linksradikale, die Juden mit Israel verwechseln und deshalb Juden hassen. Aber seit ich in diesem Lande lebe, gab es mehrere terroristische Angriffe, gegen Juden, Deutsche und Nicht-Deutsche, und die Täter waren rechtsextrem. Der Mann, der in die Synagoge in Halle eindringen wollte, war rechtsextrem. Der Mann, der den CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen hat, war rechtsextrem. Der Mann, der neun arabischstämmige Menschen in Hanau ermordet hatte, war rechtsextrem. Es geht eine ganz konkrete Bedrohung von Rechtsextremen aus. Ich glaube, dass die Betonung von linkem oder islamischem Antisemitismus genutzt wird, um vom Antisemitismus, der aus der deutschen Gesellschaft kommt, abzulenken.
Fühlen Sie sich von der deutschen Politik geschützt?
Nein. In diesem Land werden Juden und jüdische Einrichtungen sehr selektiv geschützt – zum Beispiel Synagogen, das dient als starkes, politisches Symbol. Ich gehe aber nicht in die Synagoge, ich gehe in ganz normale jüdische Einrichtungen, in koschere Restaurants. Die werden nicht geschützt. Dieses Gefühl teilen viele der jüdischen, liberalen Community in Deutschland.
Von welcher Seite erleben Sie Bedrohungen?
Ich persönlich von rechtsnationalen Juden. Aufgrund meiner Geschichte erlebe ich seit über einem Jahrzehnt Angriffe von Orthodoxen und Konservativen aus der jüdischen Welt, sowohl aus Israel als aus der Diaspora. Neulich hat ein deutscher Journalist von einer staatlich finanzierten, jüdischen Zeitung öffentlich behauptet, er hätte strafbewehrte Gedanken darüber, wie ich als Geisel in Gaza gefangen wäre.
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Wie kann man Antisemitismus Ihrer Meinung nach sinnvoll bekämpfen?
Indem man Rassismus jeglicher Art bekämpft. Indem dieser Kampf als Aufgabe der Gesellschaft gesehen wird, indem man sich mit Minderheiten solidarisiert und Möglichkeiten des Austausches und der Annäherung schafft. Und indem man in allen staatlichen Institutionen in diesem Land kein demokratiefeindliches Gedankengut duldet, und eine einheitliche Position gegen rassistische Straftaten bezieht.
Wie stehen Sie zu "Israels Sicherheit" als deutsche Staatsräson?
Die Staatsräson hat unterschiedliche Zwecke: Einerseits dient sie als deutsches Identitätskonstrukt. Die Sicherstellung der Existenz Israels dient der deutschen, kollektiven Psyche, sich der eigenen Verantwortung am Holocaust zu stellen. Gleichzeitig hat Kanzler Adenauer damit den Weg der Wiedergutmachung festgelegt. Inzwischen ist der Begriff aber zu einem reinen Lippenbekenntnis der deutschen Politik verkommen, der es uns einfach macht. Jede andere Position würde wirkliche Arbeit und Reflexion bedeuten, was die Politik eigentlich eher ungern tut.
Sie fordern einen langfristigen Waffenstillstand, ein Ende des Krieges. Sollte sich Israel nicht verteidigen dürfen?
Natürlich muss man zum Existenzrecht Israels stehen. Das tue ich auch. Ich bin wahrscheinlich Zionistin im Sinne Martin Bubers (österr.-israel. Philosoph, Anm.), der forderte, dass Israel ein pluralistisches Land für die semitische Familie ist, für Juden und Araber zugleich und mit gleichen Rechten für alle. Wenn es eines gibt, was die Überlebenden des Holocaust uns gelehrt haben, sowohl persönlich als auch literarisch, ist es, dass wir uns für die gleichen Rechte aller einsetzen müssen.
Wie blicken Sie langfristig auf den Konflikt? Vielerorts wird wieder eine Zwei-Staaten-Lösung diskutiert...
Der Status quo ist keine Alternative, genauso wenig wie eine Zwei-Staaten-Lösung. Denken Sie an all die jüdischen Siedlungen im Westjordanland, und an die Palästinenser, die in Israel leben. Was es da für Umsiedelungen bräuchte! Dabei ist Israel bereits ein Staat, in dem beide Bevölkerungsgruppen zusammenleben – ich denke an die Städte Haifa, Jaffa und Jerusalem. Was sich ändern muss, ist, dass die Palästinenser die gleichen Rechte und das gleiche Sicherheitsversprechen bekommen.
Sprechen Sie von einer Ein-Staat-Lösung? Ist das nicht Utopie – vor allem nach dem Terrorangriff?
Ich glaube, dass es sehr schwierig wird. Meine israelischen Freunde erzählen mir, dass viele der Stimmen, die sich für Frieden einsetzen, nach dem 7. Oktober verstummt sind. Andere wandern aus, weil die Rechtsnationalen immer lauter werden.
Israel verändert sich: Ultra-konservative Gruppen, die etwa den religiösen Fanatiker unterstützt haben, der Jitzhak Rabin (liberaler, israel. Ministerpräsident, Anm.) getötet hat, waren früher eine Nische, jetzt werden sie immer mehr. Sie sitzen in der Regierung, vertreten Positionen, die wir in Europa nicht akzeptieren würden, und verachten die Menschenrechte, auf die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg geeinigt haben.
Dazu kommt, dass es nicht in Benjamin Netanjahus Interesse liegt, dass der Krieg endet. Er weiß, für ihn ist es danach vorbei. Wir alle haben es in den letzten drei Jahrzehnten versäumt, über Frieden und eine konstruktive Lösung nachzudenken. Netanjahu stützt seine Macht auf den Erhalt des Status quo, und wir unterstützen ihn dabei. Dieser Krieg ist unsere allerletzte Chance, als internationale Gemeinschaft über eine Lösung nachzudenken. Sobald es eine rechtsradikale Mehrheit in diesem Land gibt, wird es keinen Partner mehr in Israel geben, mit dem wir Gespräche, die unsere Werte widerspiegeln, führen können.
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Sie wurden von Ihren Großeltern, zwei Holocaust-Überlebende aus Ungarn, aufgezogen. Welche Beziehung haben Sie zu Österreich?
Als ich das letzte Mal hier war, sind nach meiner Lesung ein paar junge Menschen zu mir gekommen. Sie waren Aussteiger aus der ultra-konservativen, jüdischen Gemeinde – ähnlich wie ich. Diese Gemeinde ist hier viel größer als in Deutschland. Doch ich habe Österreich nie als Land erlebt, das diese Themen wirklich tiefgründig behandelt oder einen Austausch fördert, obwohl ich das aus der Ferne natürlich weniger beurteilen kann. Und dann ist da noch meine persönliche Beziehung: Meine Urgroßmutter kam aus einem Schtetl in Galizien und ist mit ihrem deutschstämmigen, katholischen Liebhaber nach München durchgebrannt. Und meine Großeltern väterlicherseits kamen aus Ungarn. Insofern interessiere ich mich vor allem über die Geschichte Österreich-Ungarn.
Was macht Ihnen dieser Tage Hoffnung?
Dass sich meine israelischen und palästinensischen Freunde gerade aneinander klammern und sich gegenseitig unterstützen. Gott sei Dank gibt es noch sehr viele friedensliebende Israelis und Palästinenser. Ihre Stimmen werden gerade nicht gern gehört, aber es gibt sie, und ich unterstütze sie.
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