"Serbien will kein Parkplatz mehr für Flüchtlinge sein"

Borko Stefanović
Serbien steht unter Beobachtung. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine schaut die Welt nicht nur in Richtung Moskau, sondern auch stärker gen Belgrad. Denn dort sitzt seit Jahren ein Mann, den die westeuropäische Presse immer wieder mit dem ungarischen Präsidenten Viktor Orban vergleicht, fest im Sattel - Aleksandar Vučić. Der serbische Präsident hat sich trotz mehrfacher Ankündigungen noch nicht entschieden: Spricht er sich irgendwann doch noch für Sanktionen gegen das befreundete Russland aus oder wagt er weiterhin den Tanz auf mehreren Hochzeiten? Denn er pflegt zusätzlich zur Sympathie für Russland auch enge Beziehungen mit China, womit der EU-Beitrittskandidat Serbien in Brüssel weniger gut punkten kann.
Ein anderer Mann, der seit Jahren aus den Oppositionsreihen gegen Vučić kämpft, ist Borko Stefanović. Der Sozialdemokrat von der größten serbischen Oppositionspartei "Stranka slobode i pravde" ("Partei der Freiheit und Gerechtigkeit") weilte zuletzt mit einer kleinen Delegation in Wien. Der KURIER traf den 48-Jährigen und sprach mit ihm über die Flüchtlingskrise, das Image Serbiens in Westeuropa und seinen großen politischen Gegner Vučić. Das sagte er über...
... die Flüchtlingskrise in Serbien und mögliche Lösungsansätze.
Borko Stefanović: "Serbien wird seine Visa-Politik jener der EU anpassen müssen, wenn es jemals Mitglied werden will. Ich glaube, das wird Vučić tun, weil es ihn politisch wenig kostet, die Visa-Regelungen mit Pakistan oder Indien aufzugeben. Für Tunesien und Ruanda hat er das schon gemacht, für Kuba wird er das vermutlich auch noch tun. Serbien würde sicherstellen, dass keine Migranten mehr visafrei nach Serbien einreisen können und dann in die EU gelangen. Viele kommen aber auch über Bulgarien und Griechenland, die ja schon EU-Mitglieder sind, nach Mitteleuropa. Es ist also nicht nur Serbiens Problem. Und Serbien will kein Parkplatz für Flüchtlinge mehr sein. Es ist aber kein serbisches, kein bulgarisches und kein griechisches Problem. Sondern ein europäisches und die EU sollte hier stärker agieren."
... die Stimmung in Serbien gegenüber Flüchtlingen in ihrem Land.
"Es ist nicht einfach. Auch in Serbien schießen die Preise in die Höhe. Und es wird schwieriger, der Bevölkerung zu erklären, dass wir den Flüchtlingen helfen sollen."
... die russischen Flüchtlinge in Serbien.
"Es sind inzwischen mehr als 200.000 - und das ist eine Dunkelziffer. Viele von ihnen sind gegen Putin und wollen vor ihm weglaufen. Die meisten arbeiten in der IT-Branche, das ist auch das Personal, das wir in Serbien dringend brauchen."
... seine Sichtweise, wie Serbien in Westeuropa wahrgenommen wird.
"Tatsächlich wird Serbien gerade als isoliertes, rechtes Land eingeordnet. Einerseits wegen Vučić und andererseits, weil es sich nicht den Russland-Sanktionen anschließt. Und wir haben das ungelöste Problem mit dem Kosovo, dessen Unabhängigkeit Serbien niemals anerkennen wird. Dazu stehen wir. Dass das Bild von Serbien international gerade so schlecht ist, hat auch mit der jahrelangen anti-westlichen Medienpropaganda dort zu tun".

Borko Stefanović
... seine Vorstellungen darüber, was die EU machen müsste, um eine Annäherung Serbiens zu erleichtern.
"Die EU sollte endlich greifbare Schritte auf Serbien und andere EU-Beitrittskandidaten machen. Auch wir, EU-Beitrittskandidatenländer, sollten unsere eigenen EU-Abgeordneten, die uns dort alle und nicht nur sich selbst vertreten sollten, wählen können. Sie würden ohne Beitritt nicht abstimmen dürfen, aber dann hätten wir sie zumindest schonmal dort und sie könnten für sich sprechen. Das wäre wichtig für unsere Leute, denn Europa ist zu weit von uns weggerückt. Besonders viel Kritik gibt es wegen der vielen Bürokratie und des Mangels an Effizienz. Sagen wir es so: Die Menschen am Balkan sehen nicht mal das Geld, das aus der EU kommt. Sie fühlen es nicht. Wir befinden uns in einem schmuddeligen und langsam zerfallenden Warteraum. In so einem Warteraum können leicht andere Kräfte eindringen und Probleme verursachen – nicht nur Armut und Korruption, sondern auch nationalistischer Natur".
... die Anti-EU-Stimmung in Serbien.
"Derzeit sind nur noch 35 Prozent der Serben für den EU-Beitritt, was ein Rekord-Tief ist. Andererseits glauben mehr als 75 Prozent, dass Russland unser Freund ist. Ähnlich viel Zustimmung gibt es gegenüber China. Diese Nummern sollten alle besorgt machen. Unser Standpunkt ist aber klar: Wir wollen die EU-Mitgliedschaft so schnell wie möglich!"
...die Möglichkeiten der Opposition unter Vučić
"Wir versuchen seit Jahren darauf aufmerksam zu machen, was in Serbien vor sich geht. In den letzten zehn Jahren sind wir als Opposition immer wieder Opfer von Angriffen des Regimes geworden, auch persönlich - von Schmierkampagnen gegen uns in den von Vučić und seiner Regierung kontrollierten Medien bis hin zu körperlichen Attacken.
... die ewige Unruhe auf dem Westbalkan.
"Es geht hier nicht mehr nur um den Balkan. Es geht nicht um die Stabilität am Balkan und dass wir nicht mehr miteinander streiten. Das ist auch ein Problem Europas. Wir fordern Europa dazu auf, uns zu zeigen, dass es unser zuhause ist und wir dort enden werden".
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