Indien zwingt Bürger zu Corona-App, die meisten haben kein Smartphone
Die indische Corona-App verbreitet sich ähnlich schnell wie damals das beliebte "Pokemon Go": Für 50 Millionen Downloads brauchte die Kontaktnachverfolgungs-App nach Behördenangaben gerade einmal 13 Tage.
Zunächst rief Premierminister Narendra Modi seine 1,3 Milliarden Bürger auf, sie zu installieren. Je mehr Leute mitmachten, desto besser funktioniere die App, sagte der Politiker. Ähnlich wie andere Corona-Warn-Apps will die Anwendung aus Indien dabei helfen, Infektionsketten zu unterbinden.
Doch die schnelle Verbreitung war der Regierung wohl zu langsam und so wurde die Corona-App nach und nach für mehr und mehr Menschen verpflichtend. Dazu gehören Anwender, die ihr Haus verlassen, um zu arbeiten und solche, die in Corona-Hotspot-Gebieten leben, Rückkehrer aus dem Ausland sowie Zugfahrer. Erwischen Polizisten diese Leute ohne App auf dem Handy, haben einige örtlichen Medien zufolge schon Geld- oder Gefängnisstrafen angedroht.
Jetzt ist die App eineinhalb Monate auf dem Markt und sie läuft nach Behördenangaben auf den Smartphones von mehr als 100 Millionen Menschen. Das sind weniger als zehn Prozent der Menschen der Bevölkerung. Nach Modellen von Forschern der Universität Oxford sollten aber 60 Prozent einer Bevölkerung eine Kontakt-App nutzen, damit die Epidemie wirksam bekämpft werden kann.
Indien ist die einzige Demokratie der Welt, die Bürger zum Herunterladen einer Corona-Kontakt-Nachverfolgungs-App verpflichtet, schreiben Wissenschafter des renommierten Massachusetts Institute of Technology, das Corona-Tracker rund um die Welt verglichen hat. So ist auch in Österreich die Verwendung der "Stopp Corona"-App des Roten Kreuzes freiwillig sein. Nichtsdestotrotz hat Amnesty International vor Datenschutz-Risiken allgemein beim Einsatz von Technologie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hingewiesen.
Und die indische App namens "Aarogya Setu" - auf Hindi bedeutet das "Eine Brücke zur Gesundheit" - geht weiter als mehrere Corona-Apps anderer Länder: Sie registriert nicht nur die räumliche Nähe zu anderen Smartphones via Bluetooth, sondern wertet via GPS auch den Ort der Begegnung aus. Bei anderen Apps wird dagegen ausschließlich anonymisiert die räumliche Nähe zu anderen Smartphones festgestellt. Überlegungen, auch das GPS-Signal zur Ortung zu erfassen, wurden weltweit oft verworfen. Immerhin wird es aber zum Beispiel in Island und Norwegen herangezogen.
Kurve nicht abgeflacht
In einer Kernfunktion ähneln sich die Konzepte aus Indien und anderen Demokratien, auch in Europa: Kommt der Nutzer in die Nähe eines anderen App-Besitzers tauschen sich automatisch Daten aus und wird jemand positiv auf das Virus getestet, werden die Kontakte informiert. In Indien gibt es zusätzlich noch eine Einstufung in die Risikokategorien grün, orange und rot, basierend auf Selbstangaben zum Gesundheitszustand und der Reisegeschichte.
Laut Angaben des indischen Gesundheitsministeriums sind bisher rund 140.000 Nutzer nach Kontakten mit Corona-Infizierten über mögliche eine Ansteckung gewarnt worden und die Behörden hätten anhand der Daten rund 700 Corona-Hotspots finden und reagieren können. Im Land gilt seit Ende März eine strikte Ausgangssperre, die zurzeit langsam gelockert wird. In dieser Zeit hat sich die Corona-Kurve jedoch nicht abgeflacht. Inzwischen gibt es rund 82.000 bestätigte Corona-Infektionen und mehr als 2.600 Menschen sind an der Lungenkrankheit gestorben.
Schon kurz nach dem Start der App fanden Hacker Sicherheitsprobleme. Der französische Sicherheitsexperte Robert Baptiste etwa wies in einem Blogeintrag darauf hin, dass die persönlichen Daten der Nutzer in Gefahr seien. Damit löste er größere Diskussionen auf Twitter aus und die indische Regierung konterte, dass es kein solches Risiko gebe. Etliche Datenschützer gehen von noch mehr Schwachstellen aus, die aber unbemerkt bleiben, weil die Regierung den Quellcode der App geheim hält. Auch das unterscheidet das Konzept in Indien von dem Ansatz, den etwain Deutschland die Firmen SAP und Deutsche Telekom verfolgen. Sie wollen die App transparent als "Open Source" veröffentlichen.
In Indien bleibt auch unklar, wer genau Zugriff auf die Daten hat, wie der Chef der indischen Internet Freedom Foundation Apar Gupta sagt. Er glaubt, dass die App die Pandemie überleben wird - besonders da es in Indien weder ein nationales Datenschutzgesetz gibt, noch eine Regelung, die die Regierung zwingen würde nach Corona auf die App zu verzichten. "In außergewöhnlichen Zeiten geben Menschen viel leichter ihre Privatsphäre auf - auch für Technologien, von denen noch nicht ganz klar ist, wie viel sie tatsächlich helfen werden", sagt der Datenschutzaktivist. "Damit geben wir der Regierung immer mehr Macht, uns zu überwachen."
Einige Inder haben sich aber gegen das Tracking der App gewehrt. Ein Programmierer aus dem indischen Silicon Valley Bengaluru etwa erzählte dem Internetportal Buzzfeed, er habe den Code der App so verändert, dass sie weder persönliche Infos verlange, noch seine Bewegung aufzeichne. Andere Leute hätten demnach bei App-Kontrollen Screenshots der Apps gezeigt, bei denen die sichere Risikokategorie grün angezeigt wird. Und wieder andere Inder können die App gar nicht erst herunterladen. Schätzungen zufolge haben weniger als die Hälfte der 1,3 Milliarden Menschen im Land ein Smartphone. So wird es in Indien wohl schwer sein zu erreichen, dass 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen, wie dies die Forscher aus Oxford vorschlagen.
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