Coronavirus in Indien: "Ausbreitung in Slums wäre ein Desaster"
In den USA leben 330 Millionen Menschen, in Europa 750 Millionen. In Indien sind es mehr als 1,3 Milliarden – Dutzende Millionen davon hausen dicht gedrängt in den Slums der Großstädte oder haben gar kein Dach über dem Kopf. Eine ähnlich rasante Ausbreitung des Coronavirus wie in Italien, Spanien oder den USA hätte auf dem medizinisch weitaus schlechter aufgestellten Subkontinent fatale Folgen.
Die Regierung zog daher vor gut drei Wochen die Notbremse: Mit nur wenigen Stunden Vorlaufzeit stellte sie die gesamte Bevölkerung unter strenge Quarantäne, Verstöße können mit Gefängnis bestraft werden. Diese Woche verlängerte der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi den weltgrößten Corona-Lockdown bis Anfang Mai. Grund sind die weiter steigenden Infektionszahlen.
Laut offiziellen Angaben sind in Indien zwar nur 13.500 Menschen an Covid-19 erkrankt und 450 daran gestorben. Allein: auf das Virus getestet wurde bis vor kurzem nur, wer Symptome zeigte und zuvor im Ausland war – und auch das nur unzureichend.
Dazu kommt, dass in einem Land, in dem Millionen Menschen dicht gedrängt in Slums leben oder gar kein Dach über dem Kopf haben, Maßnahmen wie „Social Distancing“ oder Ausgangssperren nur schwer durchzusetzen sind.
Corona im Slum
„Ein unkontrollierter Ausbruch in den Slums wäre ein Desaster“, schrieb ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Bangalore, der anonym bleiben will, dem KURIER. Erste Fälle sind aus der Armensiedlung Dharavi in Mumbai bekannt, die als Kulisse des Oscar-prämierten Spielfilms „Slumdog Millionaire“ (2008) diente.
Corona in Indien
Corona in Indien
Corona in Indien
Corona in Indien
Corona in Indien
Corona in Indien
In einzelnen Bundesstaaten hat sich zumindest das Problem der geringen Testanzahl laut KURIER-Informationen gebessert, die Onlineplattform „Worldometer“ spricht mittlerweile von landesweit gut 300.000 Tests. „Anfang Mai werden wir die tatsächliche Lage kennen“, zeigt sich der NGO-Mann optimistisch.
Massive Wanderungsbewegung
Während das wahre Ausmaß der Coronakrise also noch unbekannt ist, sind die Folgen des Lockdowns unübersehbar. „Die Maßnahmen wurden ohne viel Vorab-Informationen verhängt“, berichtet der Projektpartner der österreichischen Organisation „Jugend eine Welt“. Arme Menschen hätten sich kaum auf die neue Lage vorbereiten können.
Am schlimmsten betroffen seien neben Tagelöhnern und Slumbewohnern die Millionen Wanderarbeiter vom Land.
Hunderttausende von ihnen haben aufgrund von Betriebssperren ihre Existenzgrundlage und in vielen Fällen auch ihren Schlafplatz verloren und sich auf den oft Hunderte Kilometer langen Weg in die Heimat gemacht. Indien erlebte zu Beginn des Lockdowns die größte Wanderungsbewegung seit der Teilung des Landes in Indien und Pakistan 1947.
Erntehelfer fehlen
Die meisten der Wanderarbeiter schafften es allerdings nicht nachhause. Sie wurden von der Polizei an der Weiterreise gehindert, damit sie das Coronavirus nicht weitertragen können. Unterstützung erhalten die wenigsten von ihnen. „In Sozialen Medien sieht man Tausende Migranten an den Rändern der Städte“, erzählt auch der NGO-Mann.
Auch wenn Indien für seine Pharma- und IT-Industrie bekannt ist: Die Hälfte der indischen Erwerbstätigen arbeitet normalerweise in der Landwirtschaft. Durch den Lockdown fehlt es derzeit an dringend benötigten Erntehelfern, aber auch an Trucks, die die Ernte abtransportieren könnten. Sollte die Coronakrise noch länger anhalten, droht ein weiteres Problem: Hunger.
Spenden erbeten an: Jugend eine Welt, Kennwort „Corona-Hilfe“ , IBAN: AT66 3600 0000 0002 4000 oder auf jugendeinewelt.at
Kommentare