Indien: Die größte Wahl der Welt startet
Es ist die größte Wahl der Welt: 968 Millionen Menschen sind ab Freitag bis 1. Juni dazu aufgerufen, ihr Parlament neu zu wählen. Umfragen sagen einen erneuten Triumph der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi voraus.
Die Kritik an dem Regierungschef und seiner Politik der letzten zehn Jahre, in denen er nun an der Macht ist, wächst. Zwar gilt Indien als "größte Demokratie der Welt", diese Bezeichnung wird jedoch immer häufiger infrage gestellt. Journalisten berichten von politischem Druck und einer BJP-dominierten Medienlandschaft.
Sorge um Religionsfreiheit
Auch die Religionsfreiheit ist Experten zufolge in Gefahr, ist das Fundament von Modis Partei doch die Hindutva-Ideologie, nach der alle Inder eigentlich Hindus sind. Seit der Machtübernahme Modis 2014 hat die hindu-extremistische Gewalt gegen religiöse Minderheiten zugenommen. Kritiker werfen ihm vor, das laut Verfassung säkulare Indien in einen hindu-nationalistischen Staat verwandeln und besonders die muslimische Minderheit marginalisieren zu wollen.
Der deutsche Indien-Experte Oliver Schulz sagte zum KURIER unlängst etwa: "Als ich Ende der 80er-Jahre zum ersten Mal in Indien war, war die Bezeichnung ‚Demokratie‘ für Indien passender als jetzt."
Walter Lindner, von 2019 bis 2022 deutscher Botschafter in Indien, hat mehr Vertrauen in Indiens Institutionen und Politik - und er mahnt den Westen, mit Urteilen über die Regierung Modi vorsichtig zu sein. Europa könne einiges von Indien lernen, so Lindner.
KURIER: Herr Lindner, Sie waren in den 1970er-Jahren zum ersten Mal in Indien, als Backpacker. Erkennen Sie das Land von damals wieder, wenn Sie heute nach Indien reisen?
Walter Lindner: Ja und nein. Indien hat eine 7.000 Jahre alte Geschichte, die Tempel dort gab es schon vor 2.000 Jahren, die Rituale vor 4.000. Das Wesen des Landes ist gleichgeblieben. Aber als ich zum ersten Mal dort war, lebten vielleicht 350 Millionen Menschen dort. Heute sind es 1,4 Milliarden. Die Städte haben sich völlig verändert: Hochhäuser, vernünftige Autos, keine Elefanten mehr. Und trotzdem, wenn Sie aufs Land fahren, sehen Sie noch immer das Indien, das es schon vor ein paar hundert Jahren gab.
Der Deutsche Walter Lindner war Botschaftsrat bei den Vereinten Nationen in New York, später Pressesprecher des ehemaligen deutschen Vizekanzlers Joschka Fischer sowie Staatssekretär unter dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel. Als Botschafter arbeitete er in Kenia, Somalia, Südafrika, Venezuela und Indien.
Ende März erschien sein Buch "Der alte Westen und der neue Süden - Was wir von Indien lernen sollten, bevor es zu spät ist", in dem er seine Eindrücke aus und über Indien schildert.
Ab 19. April wird in Indien gewählt. Was ist von dem Urnengang zu erwarten?
Dass es demokratische Wahlen gibt. Viele sagen heute, Indien sei keine Demokratie mehr und Modi ein religiöser Fanatiker. Ich glaube, wir müssen mit solchen Urteilen vorsichtig sein. Wenn man vor Ort rausgeht und in den Slums, Wäschereien oder Autorikschas mit den Menschen spricht, merkt man: Modi hat eine unglaubliche Popularität im Land.
Woran liegt das?
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