Impeachment: Heute wird gegen Trump abgestimmt
Nach der Abstimmung im Repräsentantenhaus, die mit den Stimmen der demokratischen Mehrheit allen Anzeichen nach spätestens in den frühen Morgenstunden mitteleuropäischer Zeit klar gegen ihn ausgehen wird, ist der New Yorker Unternehmer dann der dritte Präsident in der über 250-jährigen US-Geschichte, gegen den das stärkste Misstrauensvotum durchgesetzt wurde, das die Verfassung zu bieten hat: die erste Stufe einer vorzeitigen Amtsenthebung. Zuvor ereilte Andrew Johnson (1868) und Bill Clinton (1998) dieses Schicksal.
Der Vorwurf
Begründung: Trump habe in der Ukraine-Affäre sein Amt missbraucht und – nachdem die Sache aufgeflogen war – den Kongress durch das Blockieren von Schlüsselzeugen und Zurückhalten relevanter Dokumente bei der Aufklärung behindert.
Konkret: Trump habe die Ukraine, wie von über einem Dutzend Zeugen unter Eid bestätigt wurde, zu kompromittierenden Ermittlungen gegen seinen politischen Rivalen für 2020, den Demokraten Joe Biden, gedrängt und dabei vom Kongress bewilligte Militärhilfe im Volumen von 400 Millionen Dollar an die von Russland bedrängte Ukraine als Faustpfand benutzt. Erst als ein anonymer „Whistleblower“ aus Regierungskreisen die Sache im September öffentlich machte, habe Trump den Deal abgeblasen.
Die Defensive
Der Präsident bestreitet sämtliche Vorwürfe vehement. Dabei sekundiert ihm die republikanische Partei, die nahezu geschlossen gegen das Ansinnen der Demokraten stimmen wird. Vertreter der „Grand Old Party“ versuchten die auf sechs Stunden begrenzte Debatte bereits am Mittwochmorgen mit prozeduralen Abstimmungen zu torpedieren.
Die Aussichten
Mit dem Anlauf zum „Impeachment“ ist nicht automatisch die Entfernung Trumps aus dem Weißen Haus verbunden. Die Anklage der ersten Kammer des Parlaments geht voraussichtlich ab 6. Januar in den Senat. Er trifft unter der Leitung von John Roberts, dem Chef des Obersten Gerichtshofes, wie eine Geschworenen-Jury mit Zweidrittel-Mehrheit (67 von 100 Stimmen) die eigentliche Entscheidung.
Hier haben die Republikaner die Mehrheit. 20 Konservative müssten mit den Demokraten kollaborieren, um Trump tatsächlich aus dem Verkehr zu ziehen. Dafür spricht – Stand heute – nicht das Geringste. Obwohl die Hälfte der Bevölkerung laut Umfragen dafür ist.
Die Wiederwahl
Mit einem „Freispruch“ würde Trump Neuland betreten. Als erster Präsident, der erfolgreich „impeached“ wurde und trotzdem nicht abdanken muss (wie Bill Clinton nach der Lewinsky-Affäre), träte er im November 2020 sogar zur Wiederwahl an; möglicherweise dann mit zusätzlichem Rückenwind.
Durchkreuzen könnte dieses Szenario ein Plan von Minderheitsführer Chuck Schumer. Der Demokrat fordert die Vernehmung von Top-Zeugen wie Ex-Sicherheitsberater John Bolton und Stabschef Mick Mulvaney, die von Trump mit Redeverbot belegt wurden. Sie besitzen intime Kenntnisse über die Genese des Ukraine-Deals und die von den Demokraten behauptete Federführung Trumps. Stimmten nur vier republikanische Senatoren hier mit den Demokraten und käme es zur Vernehmung, könnte eine neue Dynamik entstehen, die das gespaltene öffentliche Meinungsbild zugunsten einer Amtsenthebung verschiebt. Mehrheitsführer Mitch McConnell, der sich gegen die Vorgaben der Verfassung eng mit dem Weißen Haus abstimmt, hat die Gefahr erkannt. Er lehnt das Anhören neuer Zeugen im Senat kategorisch ab.
Die Angst Trumps
Trump näherte sich dem historischen Ereignis auf die ihm eigene Art: mit einem vitriolhaltigen Wutbrief, der von Kommentatoren als „beispielhaft für die Amtsunfähigkeit“ des 73-Jährigen bezeichnet wurde. In dem sechsseitigen Papier, das sich wie eine Aneinanderreihung seiner Schmäh-Beiträge auf Twitter liest und nachweislich voller Unwahrheiten ist, stilisiert sich Trump als Opfer einer Intrige rachsüchtiger Demokraten, die seinen Wahlerfolg von 2016 immer noch nicht verwunden hätten.
Dabei geht Trump seine mächtige Gegenspielerin, die Sprecherin des Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, frontal an. „Indem Sie mit Ihrem ungültigen Impeachment fortfahren“, schrieb Trump an die Demokratin, „verletzen Sie Ihre Amtseide, brechen Sie Ihre Treue zur Verfassung und erklären der amerikanischen Demokratie offen den Krieg.“ Trump spricht wörtlich von einem „illegalen, parteiischen Umsturzversuch“.
„Sie führen das Amtsenthebungsverfahren ad absurdum und Sie verbergen kaum Ihren Hass auf mich, die Republikanische Partei und zig Millionen von patriotischen Amerikanern.“ Trump an die Adresse der Demokraten: „Sie sind diejenigen, die unserem Land Schmerz und Leid zufügen, um sich selbst selbstsüchtig einen persönlichen, politischen und parteiischen Vorteil zu verschaffen.“
Mit dem Brief, der nach Ansicht von Insidern Ausdruck von Trumps Angst vor dem „impeachment“-Makel ist, der „ihn noch in 100 Jahren in den Geschichtsbüchern umgeben wird“, will der Präsident nach eigenen Worten seine Gedanken „dauerhaft und unauslöschlich aufzeichnen“. Inklusive einer Prise Prophetie an die Adresse Pelosis: “Ich habe keinen Zweifel daran, dass das amerikanische Volk Sie und die Demokraten bei den kommenden Wahlen 2020 voll verantwortlich machen wird.“
Die lauten Gegner
Pelosi konterte die Attacke kursorisch: „Das ist lächerlich und krank.“ Die 79-Jährige unterstrich, dass die in vielen Vernehmungen öffentlich erhobenen Fakten Trumps Schuld klar belegt hätten: „In Amerika steht niemand über dem Gesetz.“ In vielen Städten im ganzen Land gingen am Dienstagabend Zehntausende Bürger auf die Straße, um dem „Impeachment“-Verfahren lautstark Nachdruck zu verleihen.
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