Jahrelanger Konflikt
Armenien und Aserbaidschan streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört und die Armenien in einem blutigen Krieg (30.000 Tote) in den frühen Neunzigerjahren erobert hatte. Mehr als 700.000 Aserbaidschaner wurden aus dem Gebiet vertrieben, der Konflikt fror ein. Bis zum Herbst 2020.
Nach sechswöchigen schweren Gefechten mit mehr als 6.500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. „Es gab de facto keine Konsequenzen vonseiten der internationalen Gemeinschaft. Animiert das andere potenzielle Konfliktparteien, verstärkt zum Einsatz militärischer Gewalt zu greifen?“, sagte Generalmajor Johann Frank, Kabinettsdirektor des Militärausschusses der Europäischen Union, damals zum KURIER.
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Der „Latschin-Korridor“
Nach wie vor leben etwa 120.000 ethnische Armenier in Bergkarabach, in dem seit Ende des Krieges russische Friedenstruppen stationiert sind. Das Abkommen sieht die Wiedereingliederung Bergkarabachs in das Territorium Aserbaidschans vor – unter Wahrung und Garantie der Minderheitenrechte der verbliebenen Armenier. Ein Punkt, dem die Regierung in Bergkarabach misstraut. Über den sogenannten Latschin-Korridor, eine Verbindungsstraße zwischen Armenien und Bergkarabach, sollte die Versorgung gewährleistet werden.
Versorgungslösung
Doch seit Dezember hat Aserbaidschan diese Verbindung blockiert, zunächst mithilfe von zivilen Umweltschützern, dann mit einer Blockade, die selbst Hilfskonvois daran hindert, die Stadt Stepanakert in Bergkarabach zu erreichen. Alles unter der Aufsicht von wachsamen und teilnahmslosen russischen Soldaten. Aserbaidschan hält dagegen, es habe die Straßensperre errichtet, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, und eine alternative Route aus dem eigenen Staatsgebiet angeboten, um die Stadt zu erreichen. Armenien betreibe „politische Manipulation“.
Nachdem sich die humanitäre Lage zuspitzte, gelang es den Konfliktparteien kürzlich, sich zu einigen. Am Sonntag meldete die Regierung in Stepanakert, man sei dazu bereit, Lieferungen aus Aserbaidschan und Armenien zu erhalten. So soll auch der Latschin-Korridor wieder geöffnet werden – wenn die Abmachungen halten.
Kritik an Russland
Die Gefahr eines Krieges ist damit allerdings nicht gebannt. In den vergangenen Wochen nahmen die Transportflüge von Aserbaidschans wichtigsten Verbündeten Türkei und Israel nach Baku stark zu. Dazu kommt, dass die russischen Friedenstruppen sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan kritisiert werden: Moskau habe nichts unternommen, um zu verhindern, dass militärische Lieferungen aus Eriwan die „separatistischen Kräfte in Karabach“ erreichten, wirft Baku der russischen Regierung vor. „Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass uns Russland schützt“, sagte der armenische Premier Nikol Paschinjan kürzlich in einem Interview mit Politico. „Die russischen Friedenstruppen haben versagt“, fügte er hinzu.
Seit Monaten nehmen die Verstimmungen zwischen Armenien und Russland zu – am Mittwoch war die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, der armenischen Regierung „Unhöflichkeit“ vor, die die Beziehungen beider Staaten belasten würden. Dazu kommt, dass derzeit armenische und US-Soldaten gemeinsam üben. Zwar in kleinem Stil, dennoch verärgert dieser symbolische Schritt die armenische Schutzmacht Russland stark. Kommenden Mittwoch wird die gemeinsame Übung enden – dann dürfte klarer werden, was es mit den Truppenbewegungen auf sich hat.
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