Hospizarbeit in Jerusalem: Überleben in der Heiligen Stadt
Markus Stephan Bugnyar ist der „Auslandsösterreicher des Jahres 2019“. Und mit 44 Jahren Rektor des Österreichischen Hospiz’ in der Jerusalemer Altstadt. Auf der Liste der Auslandsösterreicher mit Ex-Ministern und Großkonzern-Chefs klingt das eher bescheiden. Aber: Jerusalem ist die Mitte der Welt.
Sogar geografisch ist das im Schnittpunkt zwischen Asien, Europa und Afrika nicht ganz abwegig. Und wer seit 15 Jahren genau in dieser umstrittenen Region lebt, hat so manches von der Welt erfahren. Auch Enttäuschungen.
Der Rektor versteht, dass der ersehnte und immer wieder verloren gegangene Frieden nur schwer mit diplomatischen Papieren zu schaffen ist. Frieden wird oft erst spürbarer, wo zwei oder drei Menschen zusammen sind – auch an einem Kaffeetisch.
Attentäter kamen von außen
In den vergangenen Jahren haben die Unruhen, die sich oft direkt vor den Eingangsstufen zum Hospiz abgespielt haben, spürbar nachgelassen. Bugnyar: „Es war vor Jahren überraschend, dass die Altstadt zum Schauplatz von Anschlägen wurde. Die meisten der Attentäter kamen von außerhalb, weil sich hier in der Altstadt Juden und Palästinenser anders begegnen.
Die hier lebenden Menschen ziehen es vor, wenn es ruhig bleibt. Sind sie doch abhängig von den Einnahmen, die der Tourismus bringt.“ Und das Hospiz ist mittendrin. Israelis und Palästinenser – in den engen Gassen Jerusalems kann man sich gar nicht aus dem Weg gehen.
Als Rektor hat es Bugnyar in erster Linie mit der Stadt zu tun. Wobei er der berüchtigten Bürokratie Israels eher Umgänglichkeit bescheinigt. „Ich bin hier auf Beamte gestoßen, die ihre Arbeit ohne Tagespolitik verrichten“, berichtet er.
Ein baldiges Abkommen zwischen Israel und dem Vatikan zur Neuregelung des Status der Kirchen in der Stadt hat für Bugnyar – im Gegensatz zu anderen Geistlichen – keinen Vorrang. Ihm geht es vor allem um Rechtssicherheit. Die könne auch erreicht werden, indem das steuerbefreite Hospiz Abgaben zahlt.
„Neid und Missgunst“
Was darf eine Kirche in Jerusalem, und was nicht? Der Status reicht für Bankgeschäfte nicht aus. Im Kaffeehaus des Hospiz’ kann man daher nicht mit Kreditkarte zahlen. Aber für die ersehnte Baulizenz zur notwendigen Bauerweiterung der Institution reichte der jetzige Status sehr wohl.
Ein absoluter Ausnahmefall für die Altstadt. Hier warten sogar israelische Siedler lange und oft vergeblich auf Bauänderungslizenzen. Für die von ihnen meist über Strohmänner gekauften Häuser. Manchmal freilich funktioniert das, wie man gleich hinter, genauer über dem Hospiz am Hang, erkennen kann: Dichter Stacheldraht – und eine israelische Fahne weht über dem Komplex. Ein sichtbarer Beweis dafür, dass Bauen in der Altstadt immer ein Politikum ist.
„Da kann es zu Neid und Missgunst kommen“, weiß Bugnyar. Auch zu Beginn seines Bauprojekts, der Casa Austria (einem neuen Bettenhaus), kam es zu Sabotage-Vorfällen. Eine Anzeige bei der israelischen Polizei bringe da nicht viel, sagt der Hospiz-Rektor. Vorsprache bei den PLO-Vertretern schon mehr. Gute Beziehungen zum israelischen Rathaus müssen nicht unbedingt schlechte mit den Vertretern der PLO nach sich ziehen. Sie leben in der Stadt ohne offiziellen Status, doch nicht ohne Anspruch und Autorität. Palästinensische Autorität.
Spagat zwischen den Völkern
Der Burgenländer mit dem ungarisch klingenden Namen schaffte den Spagat zwischen den Völkern: Die Sabotage-Aktionen hörten auf. Oben die Siedler, die sich selbst häufig nicht zum toleranteren Teil der israelischen Öffentlichkeit zählen. Nebenan irgendwo die PLO mit ihrem nationalen Anspruch – und nicht nur die. Für religiöse Extremisten jeder Art ist Jerusalem ein Sammelbecken, in dem sich die lokalen Christen leicht zwischen Hammer und Amboss fühlen.
„Obwohl sie doch ihre Wurzeln schon 2.000 Jahre in dieser Stadt haben, sehen fanatische Muslime auch palästinensische Christen als Vorhut des verpönten Westens und seiner Dekadenz“, erklärt der Rektor. In anderen Ländern des Nahen Ostens sind Christen brutalen Verfolgungen ausgesetzt und oft vom Tode bedroht. Für die palästinensischen Christen gilt das nicht.
Doch ständiger Druck ist spürbar. Vor wenigen Tagen noch protestierten Vertreter christlicher Kirchen gegen die „unrechtmäßige“ Konfiszierung kirchlicher Böden, diesmal durch die palästinensischen Behörden. Ein großer Teil der Umwelt begreift die lokalen Christen als Bedrohung – was in eine Bedrohung der Christen münden kann.
„Ich kann es verstehen, wenn es junge Christen vorziehen, mit ihrer meist guten schulischen und beruflichen Ausbildung ihr Glück in der EU zu suchen. Dort haben sie es meist leichter als muslimische Auswanderer, sich zu integrieren und ihre Zukunft zu finden.“
Abwanderung aber schwächt die christliche Präsenz in dem Land, in dem der christliche Glauben entstand. „Wir hier in der Altstadt spüren es schon negativ, wenn ein Umzug in andere Stadtteile stattfindet. Junge Paare ziehen um in Wohnprojekte, die dort von Kirchen gefördert werden. In der Altstadt wird so die Zahl der Christen immer weniger.“
Christliche Tätowierungen
Ausgeschlossen von ihrer Umgebung suchen junge Christen verstärkt nach der eigenen Identität in ihrer arabisch- palästinensischen Umwelt. „Plötzlich tauchen wieder christliche Tätowierungen auf, die schon Jahrzehnte vergessen waren.“ Eine trotzige Suche nach neuem Eigenen.
In Israel sieht es anders aus. Dort wächst die Zahl der Christen, vor allem wegen der Zuwanderung in den vergangenen Jahrzehnten aus Osteuropa. Auch die lokalen arabischen Christen werden mehr, trotz vergleichsweise niedriger Geburtenrate. Die Hebräisch sprechenden „Catholim“ erhielten sogar ihr eigenes Bistum. Nicht immer in Harmonie mit den arabisch sprechenden Christen.
„Die Gemeinde wächst, aber mit vielen unterschiedlichen Segmenten. Die Kirche gerät da durchaus an ihre Grenzen, ist zum Teil sogar überfordert. Wie die Kirche im Heiligen Lande in 20 Jahren aussehen wird, kann niemand voraussehen“, sagt der Rektor. Ob Markus Bugnyar dazugehören wird? Er kann es sich vorstellen. Jung genug ist er. Auch wenn er das tägliche Kornspitzweckerl vermisst. Zurück in der „alten“ Heimat würde er aber die bunte Vielfalt vermissen. „Da droht Langeweile, und nichts hasse ich mehr.“
Gründung
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Grundstück im arabischen Viertel Jerusalems von der Habsburger Monarchie um 5.700 Gulden erworben. Am 19. März 1863 öffnete das Hospiz seine Pforten – ursprünglich für Pilger aus der Monarchie, die sich auch als Schutzmacht für Christen im Nahen Osten verstand. Die Einrichtung ist somit das älteste nationale Pilgerhaus im Heiligen Land.
Bewegte Zeiten
Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Hospiz von der britischen Administration requiriert, blieb aber im Besitz der Erzdiözese Wien. In den Räumlichkeiten wurde zunächst ein anglikanisches Waisenhaus für syrisch-christliche Kinder etabliert, später eine Pension für britische Offiziere und Beamte. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurde die Einrichtung erneut von den Briten beschlagnahmt.
Während des israelischen Unabhängigkeitskrieges wurde das Hospiz in ein Lazarett verwandelt und gelangte 1948 unter jordanische Verwaltung, nach dem Sechstage-Krieg unter israelische. Erst 1985 wehte wieder die rot-weiß-rote Fahne über dem Dach, seit 1988 ist das Hospiz wieder „nationale Pilgerstätte“ und beliebter Treff für Touristen aus aller Welt, aber auch für Einheimische.
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