Aus einem Brief eines deutschen Jesuitenpaters aus dem Jahr 1942 geht laut einem Medienbericht hervor, dass Pius XII. von der Judenvernichtung gewusst hat – und schwieg.
Seit Jahrzehnten erhitzt das Thema die Gemüter innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche: War Pius XII., dessen Pontifikat von 1939 bis 1958 dauerte, zu zurückhaltend gegenüber Nazi-Deutschland, oder schloss er gar bewusst die Augen vor den Gräueln des Hitler-Regimes? Die Verteidiger des Oberhirten wiesen dies stets zurück, vielmehr habe der Italiener das Leben vieler Juden gerettet. Doch jetzt tauchte ein Brief eines deutschen Jesuitenpaters auf, der das Wirken des „Kriegspapstes“ in einem sehr düsteren Licht erscheinen lässt.
Das bisher unveröffentlichte Dokument, das Giovanni Coco, Archivar und Forscher im Vatikanischen Archiv, nun aufstöberte und aus dem die italienische Tageszeitung Corriere della Sera zitiert, belegt offenkundig, dass Pius XII. spätestens seit 14. Dezember 1942 vom Holocaust wissen musste. Denn zu diesem Zeitpunkt schickte Lothar König, der Jesuit war Verbindungsmann zwischen dem Erzbischof von München, einem erklärten Gegner der Nationalsozialisten, und dem Vatikan, einen Brief nach Rom. Darin wies er darauf hin, dass im „Hochofen“ von Belzec, einem Vernichtungslager im besetzten Polen, „jeden Tag bis zu 6.000 Menschen sterben“. Auch das Konzentrationslager Auschwitz wird erwähnt. Entgegengenommen wurde das Schreiben vom Sekretär des Papstes, Pater Robert Leiber.
„Einzigartiger Brief“
Nur zehn Tage nach Erhalt des Briefes kritisierte Pius XII. in seiner Weihnachtsansprache, dass „Hunderttausende Menschen ohne irgendeine Schuld und nur aufgrund ihrer Nationalität oder Rasse in den Tod geschickt werden“. Für die Apologeten des Pontifex maximus ein Beweis für seine klare Positionierung gegen Hitler-Deutschland. Allerdings: Die Worte Judenverfolgung und Nationalsozialisten kamen nicht vor.
1876
Der spätere Papst Pius XII. mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli wird am 2. März in Rom geboren. Nach dem Studium der Theologie und
Philosophie wird er 1899 zum Priester geweiht. Als Experte für Kirchenrecht steigt er schnell auf und wird Professor an der Diplomaten-Akademie des Vatikans (1909–1914).
1920-1929
Pacelli ist in dieser Zeit Nuntius im Deutschen Reich und maßgeblich beteiligt an den Konkordatsabschlüssen mit Bayern (1924) und Preußen (1929). Am Ende seiner Amtszeit in Deutschland wird er zum Kardinal ernannt, ein Jahr später zum Kardinalstaatssekretär im Vatikan und ist somit Papst-Stellvertreter.
1939
Nach dem Tod Pius XI. wird Pacelli an seinem 63. Geburtstag zum neuen Papst gewählt, er nennt sich Pius XII.
1943/1944
Nach der Besetzung Roms durch die deutsche Wehrmacht schweigt Pius XII. zur Juden-Deportation. Auch ein Jahr später gab es von ihm keine Reaktion nach der Veröffentlichung von Fotos aus Vernichtungslagern.
1958
Pius XII. stirbt am 9. Oktober.
„Es handelt sich jedenfalls um einen einzigartigen Brief, der von großem Wert ist. Wir versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen, auch um die schreckliche Zeit zu verstehen, in der Pius XII. die Kirche leitete“, sagte Giovanni Coco, der nach Öffnung der entsprechenden Archive durch den aktuellen Papst, Franziskus, im Jahr 2020 unermüdlich forscht. Dabei ist er nicht alleine.
Auch der US-Historiker David Kertzer ackerte Berge von Dokumenten durch – und kam bereits in seinem 2022 publizierten Werk „The Pope at War“ zu dem Schluss: Der „Kriegspapst“ habe vor seiner moralischen Verantwortung versagt. Sein oberstes Ziel sei es gewesen, die Kirche einigermaßen heil durch den Weltenbrand zu lotsen. Dem habe er alles untergeordnet, eben auch klare Worte der Verurteilung des Nazi-Regimes.
Zumal auch Adolf Hitler nach dem Tod von Papst Pius XI., einem Gegner des Nationalsozialismus, einen Ausgleich mit der katholischen Kirche für opportun hielt. Nur wenige Wochen nach der Wahl von Pius XII. schickte der Diktator Mitte April einen Geheimemissär zum neuen Pontifex, der früher Nuntius in Deutschland war. Kertzer fand eine Niederschrift des Treffens, aus dem hervorgeht, dass der Papst einen „Waffenstillstand“ zwischen den beiden Seiten vorschlug. Der Deal: Keine weitere Repressionen gegen die Kirche im Deutschen Reich, dafür keine weitere Einmischung aus Rom. Tatsächlich wurde der deutschen Presse am 25. Mai 1939 befohlen, Angriffe auf die katholische Kirche und deren Priester zu unterlassen.
Kontakt nach Kriegsbeginn
Der Berliner Gesandte traf am 26. August nochmals mit Pius XII. zusammen – und am 24. Oktober. Da war mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg bereits im Gange. Kreutzer: Das mache deutlich, „dass der Papst auch nach dem Einmarsch um eine Verständigung mit Hitler bemüht war“.
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