Wachsam sein gegen Radikalismus

Ein Transport von Juden kommt an der Rampe des Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
Am Montag wurde in Wien der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Wir haben aus der Geschichte ziemlich wenig gelernt." Mit diesen aufrüttelnden Worten hält die Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz, Anita Lasker-Wallfisch, der Gesellschaft einen Spiegel vor. Die 89-Jährige macht eindringlich aufmerksam, dass rassistisch motivierte Terrorakte, Antisemitismus, Radikalismus und Nationalismus dramatisch zunehmen. "In der ganzen Welt fließt unschuldiges Blut", sagt Lasker-Wallfisch.

Wie durch ein Wunder überlebte sie Auschwitz. Gerettet hat sie ihr Cello-Spiel. Im Orchester musste sie Märsche am Tor spielen. "Das tägliche Panorama war ein Strom von Menschen, die in die Gaskammern getrieben wurden und der dunkle Rauch aus den Schornsteinen." Heute lebt Lasker-Wallfisch in London.

Aspanger Bahnhof

Am Montag trat sie bei einer Veranstaltung zum Gedenktag für die Opfer der Shoa und dem Gedenken an den jüdischen Widerstand (Jom Hashoa) in Wien auf. Beim früheren Aspanger Bahnhof im dritten Wiener Gemeindebezirk, dem Platz der Opfer der Deportation, versammelten sich gestern Zeitzeugen, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Schulklassen mit Lehrern. Sie gedachten der Opfer des Nationalsozialismus und erinnerten an "die unvorstellbaren Grausamkeiten, für die Auschwitz steht", wie Lasker-Wallfisch betonte. Sie rief dazu auf, stets wachsam zu sein. Als Mädchen dachte sie, "Deutschland sei ein zivilisiertes Land", doch dann kamen die Morde und die Gräuel der Nazis.

Mehr als 90 Transporte verließen ab 1942 den Aspanger Bahnhof in Richtung der Vernichtungslager des NS-Regimes, viele fuhren nach Auschwitz.Oskar Deutsch betonte, dass sich die Erinnerungskultur in Österreich erst in den vergangenen 20 Jahren entwickelt habe, die Jugend zeige heute aber "großes Interesse" an der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und an Gesprächen mit Zeitzeugen. SPÖ-Kulturstadtrat Mailath-Pokorny spannte eine Bogen von den Nazi-Verbrechen bis zu den Grausamkeiten der Terrormiliz "Islamischer Staat". Man dürfe nicht vergessen, dass so etwas "vor nicht allzu langer Zeit" auch in Wien passiert sei. Er kündigte die Errichtung eines Mahnmals am ehemaligen Standort des Aspangbahnhofes an. Zu der Gedenkveranstaltung kam auch ÖBB-Chef Christian Kern. Bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen, an denen auch die damalige Reichsbahn ihren Anteil hatte, habe man sich hierzulande beschämend zurückgehalten, sagte Kern entschuldigend. Er habe das Unternehmen ÖBB aber motiviert, sich mit der NS-Geschichte in Forschungsprojekten zu befassen.

"Für die Fahrt in den nahezu sicheren Tod" wurden die Vertriebenen zur Kasse gebeten, sogar ein "Rabattsystem" wurde entwickelt. "Das zeigt die Profanität, mit der dieser Irrsinn betrieben wurde", sagte Kern.Zu Wort kamen auch Schüler, die im vergangenen Jahr Überlebende am Marsch begleitet haben. "Wir schöpfen daraus die Motivation, die Zukunft richtig anzugehen", sagten zwei Schüler des Theresianums in Wien.

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