"Hier ist viel los": Vorsichtiger Jubel in der SPD-Zentrale
"Olaf, Olaf, Olaf" – im Foyer des Willy-Brandt-Hauses passiert an diesem Sonntagabend etwas, das manche aus längst vergangenen Tagen kennen: Die Sozialdemokraten schwenken Fahnen, jubeln und feiern sich und ihren Kanzlerkandidaten. Dieser steht auf der Bühne und stellt einmal fest, dass "hier viel los ist". Er lächelt, die Lippen sind aneinandergepresst.
Was in Olaf Scholz vorgeht, weiß man nie so genau. Ein innerliches Freudenfeuer? Dank? Genugtuung? Es wäre nachvollziehbar.
Vor nicht allzu langer Zeit war er noch der große Verlierer: Scholz, der Vizekanzler und Finanzminister, ein politisches Schwergewicht, den manche für kühl und unnahbar halten, hatte bei der Wahl zum Parteivorsitz das Nachsehen gegenüber dem unbekannten Duo vom linken Flügel: Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans. Aus deren Sicht war er der Verteidiger von Gerhard Schröders umstrittener Hartz-IV-Reform und einer, der genau für das stand, was viele ablehnten: die Große Koalition. Das verfing, Scholz wurde als SPD-Chef von den Mitgliedern verschmäht.
Es ist paradox, dass sie nun mit ihm und – von dieser ungeliebten Koalition – profitiert haben. Die totgesagten Sozialdemokraten haben im Vergleich zu 2017 (20 Prozent) vier bis fünf Prozent zugelegt, nach Stand Sonntagabend Platz eins erreicht. Scholz warf im Wahlkampf seine ganze Regierungsmacht in die Waagschale und präsentierte sich als Nachfolger Merkels – inklusive Rauten-Geste am Magazin-Cover der Süddeutschen Zeitung.
Weißwein und Bier
Ob er ihren Platz im Kanzleramt einnehmen wird? Die Stimmung ist am Wahlabend angespannt. Auf den Jubel nach der ersten Prognosen – die die SPD vor der Union sah – folgt Stille. Die Blicke der Menschen sind auf die Handys gerichtet. Es gibt noch andere Zahlen: Infratest dimap sieht SPD und Union bei 25 Prozent, Gleichstand also. Einige haben das schon befürchtet.
Stunden vorher: Im Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg trudeln die ersten Gäste ein: Journalisten aus aller Welt, Parteimitglieder -und Mitarbeiter. Es gibt Schöpfcurrywurst, Nudelpfanne, Weißwein und Bier. Immer wieder wird auf Smartphones geschaut und getuschelt, erste Zahlen kursieren. Es sieht nach einem engen Rennen aus, wenige Prozentpunkte trennen SPD und Union.
Richtig festlegen will sich keiner. Der Mitarbeiter eines Abgeordneten erinnert sich an 2002: Da war es auch so knapp. "Hochmut kommt vor dem Fall", sagt er und erwähnt Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber, der sich damals zum Sieger ausrief. Und dann doch gegen Gerhard Schröder verlor.
Ein paar Tische weiter sitzt Melanie (50) und ist etwas zuversichtlicher: "Scholz macht’s".
Abwartender Sieger
Es gibt Menschen, die sagen, dass er selbst am meisten daran geglaubt hat. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die SPD belächelt und abgeschrieben wurde. Tatsächlich lag sie über Monate hinweg bei 15 Prozent einbetoniert. Doch anstatt sich Versäumnisse oder Ratschläge via Medien auszurichten – wie das in früheren Wahlkämpfen geschah – übte sich die Partei in Geschlossenheit. Die Jusos, die einst gegen Scholz Stimmung gemacht haben, schwenkten für ihn die Fahnen. Auch die neuen Vorsitzenden hatten sich hinter ihm eingereiht – "sie haben erkannt, dass es keinen Sinn macht, Scholz zu bekämpfen", erzählt eine Genossin am Wahlabend.
Und so stehen die zwei Parteiführer gegen 19 Uhr an der Seite von Olaf Scholz auf der Bühne. "Das ist dein Erfolg", sagt Esken in Richtung des Kanzlerkandidaten. Der 63-Jährige kündigt an, dass er einen Regierungsauftrag sehe, woraufhin Jubel ausbricht, denn Scholz gleichzeitig etwas dämpft. Er weist daraufhin, dass man noch das endgültige Ergebnis abwarten werde, bevor es an die Arbeit gehe – "es wird noch ein langer Wahlabend".
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