Hälfte der afghanischen Bevölkerung von Hungersnot bedroht
18 Millionen Menschen, fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung, sind aktuell auf humanitäre Hilfe angewiesen. "Ein Drittel der Menschen weiß nicht, wie sie ihre Familie am nächsten Tag ernähren sollen“, schreibt António Guterres, UN-Generalsekretär, auf Twitter.
Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) warnt vor einer humanitären Katastrophe. Bereits vor der Übernahme der Taliban und den damit verbundenen Vertreibungen kämpften Teile der Bevölkerung gegen Hungersnot: Die nationale Nahrungsmittelproduktion reicht nicht für die stark wachsende Bevölkerung.
Dazu kommen hohe Nahrungsmittelpreise als Folge Dürre-bedingter Knappheit. Gerade herrscht die zweite Dürre in nur vier Jahren. Besonders Kinder und Frauen sind betroffen. Laut WHO ist mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren unterernährt.
UNO startet Hilfsflüge wieder
Finanzielle Hilfen und Entwicklungsprojekte internationaler Organisationen wurden nach der Übernahme der Taliban eingestellt. Nun haben die Vereinten Nationen ihre Hilfsflüge wieder aufgenommen: Mehr als 20 Ziele sollen angeflogen werden, mehr als 160 Hilfsorganisationen sollen ihre Arbeit wieder aufnehmen können.
Großbritannien reagierte auf den Warnruf der UN mit Hilfsgeldern in Höhe von insgesamt 30 Millionen Pfund (circa 35 Millionen Euro): Damit wolle man jene Nachbarländer Afghanistans unterstützen, die Geflüchtete aufgenommen haben. Zudem will Großbritannien selbst insgesamt 20.000 Geflüchtete aus Afghanistan aufnehmen. Nach Angaben des UNHCR könnten bis zum Jahresende bis zu eine halbe Million Afghanen aus ihrem Heimatland fliehen.
Regierung nimmt Form an
Indes nimmt die Regierung der radikalen Islamisten Form an: Der Chef des Taliban-Politbüros, Mullah Baradar, soll die Regierung in Kabul leiten, heißt es aus Taliban-Kreisen. Der Sohn des verstorbenen Taliban-Gründers Mullah Omar, Mullah Mohammad Jakub, soll ebenfalls eine hochrangige Position einnehmen.
Die gesamte Regierung soll in den kommenden Tagen vorgestellt werden. Damit wächst der Druck auf den Westen, über eine Kooperation mit einer Taliban-Regierung zu entscheiden. Die USA und die EU wollten eine förmliche Anerkennung der Regierung davon abhängig machen, inwiefern die Islamisten ihrer Ankündigung, die Menschenrechte schützen zu wollen, Taten folgen lassen.
Angesichts der drohenden humanitären Krise ist eine Anerkennung der Regierung auch im Interesse der Taliban: So will man internationale Geldgeber zurück ins Land locken.
Bürgerkrieg könnte drohen
Doch noch lange wird nicht sicher sein, ob die Taliban tatsächlich die Macht haben werden, das gesamte Land zu regieren und verwalten. Diese instabile Lage könnte direkt in einen neuen Bürgerkrieg münden, befürchtet der US-Generalstabschef Mark Milley.
Die Gefahr dabei: Terrorgruppen könnten das Machtvakuum in Afghanistan für sich nutzen, warnte Milley. Zu befürchten sei, dass sich Al-Kaida neu formiert, die Extremisten des Islamischen Staats (IS) ihren Einfluss ausbauen „oder eine Vielzahl anderer Terrorgruppen“ sich am Hindukusch breit machen.
Milley: „Es könnte sein, dass wir binnen 12, 24 oder 36 Monaten sehen werden, wie ausgehend von dieser Region der Terrorismus aufs Neue erstarkt.“
Nach Einschätzung der UNO war Al-Kaida bereits vor dem Abzug der internationalen Truppen in fast jeder zweiten afghanischen Provinz präsent.
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