"Haardiskriminierung": Britische Anwälte womöglich bald oben ohne

Wenn man in Österreich an weiße, gelockte Perücken denkt, erscheint vielleicht Wolfgang Amadeus Mozart vor dem inneren Auge. Oder der französischen König Ludwig XIV. Jedenfalls denkt man wohl an die barocke Vergangenheit. Nicht so im Vereinigten Königreich. Hier sind die langen, weißen Perücken weiter Alltag - zumindest im Gerichtssaal.
Ob beim Verfahren um die Verletzung der Privatsphäre von Prinz Harry, den Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen Kevin Spacey oder bei der Entscheidung im Fall Julian Assange: Bei Strafverfahren tragen Richter wie Anwälte nicht nur lange schwarze Roben, sondern auch eine weiße Kopfbedeckung.
Anwalt ortet "Haardiskriminierung"
Doch das könnte sich nun ändern. Wie der britische Telegraph berichtet, verhandeln die englische Gerichte über die Abschaffung der obligatorischen Kopfbedeckung. Denn sie würde Menschen mit afro-karibischem Haar diskriminieren. Eine Entscheidung wird für Herbst erwartet.

Ins Rollen gebracht hat die Debatte der britische Anwalt Michael Etienne. Er war im Februar 2022 ohne Perücke über seinem Afro vor Gericht erschienen und wurde daraufhin gewarnt: Sollte er dies noch einmal tun, sei das eine Missachtung des Gerichts.
Doch Michael Etienne, ein Spezialist für Menschenrechtsfälle, wollte sich der „antiquierten Regel“ dennoch nicht beugen: Sie sei „kulturell unsensibel“ und, zitierte ihn die Daily Mail damals, ein „Fall von Haardiskriminierung“ .
König Charles führte es ein
Obwohl Perücken heute formeller Teil der Kleiderordnung sind, war ihre Einführung eigentlich zufällig. Im 17. Jahrhundert, unter der Herrschaft von Charles II, wurden sie ausgehend von Frankreich ein modisches Accessoire der Oberschicht und Aristokratie.
„Die Perücke galt als Symbol der Autorität, und die Anwälte trugen ihre Perücken sowohl im Gerichtssaal als auch außerhalb, um ihren Status und ihre Macht zu demonstrieren“, erläutert Grant Longstaff von der University of Law in einem Blogpost. „Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass einige Anwälte zögerten, die Perücke zu tragen, wurden Perücken gegen Ende der Herrschaft von König Charles II. von den Richtern voll akzeptiert.“
1685 wurde sie offiziell als Teil der Kleiderordnung festgehalten.

Ein gutes Jahrhundert später nahm die Beliebtheit der Perücke in der Bevölkerung ab, doch die Tradition des Perückentragens in der Anwaltschaft blieb in England - anders als etwa in Amerika - bestehen. Die Kopfbedeckung - damals aus Pferdehaar - sollten den Träger von der persönlichen Beteiligung behalten.
Seit 2007 ist die Kopfbedeckung zumindest bei Familien- und Zivilgerichtsverhandlungen zwar nicht mehr vorgeschrieben, in Strafsachen werden sie jedoch weiterhin aufgesetzt.
Für "kaukasisches Haar" gemacht
Michael Etienne ist in seiner Kritik an den Perücken jedoch nicht alleine. Auch der schwarze Anwalt Leslie Thomas erklärte zur Daily Mail, die weißen Haarteile im georgischen Stil sähen auf schwarzen Anwälten „lächerlich“ aus und seien „für kaukasisches Haar gemacht“.
Und zum Telegraph meinte er, die Richterschaft solle die „archaische“ Gerichtskleidung - darunter falle auch der Flügelkragen - aufgeben. Stattdessen sollten Anwälte einen schwarzen Talar mit eleganter Geschäftskleidung darunter tragen dürfen.
Damit würden die Regeln den ganz alten Vorschriften wieder entsprechen. Vor dem 17. Jahrhundert war die einzige Voraussetzung für Anwälte, ordentlich gestutzte Haare und Bärte zu haben.
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