Deutschland: Große Koalition abgestraft, Nahles in Not

Deutschland: Große Koalition abgestraft, Nahles in Not
Union und SPD mussten schwere Verluste hinnehmen, während die Grünen erstmals zweitstärkste Kraft wurden.

Die Prognosen sahen nie besonders gut aus, dennoch hofften die Sozialdemokraten bis zuletzt, dass es nicht so schlimm kommt. Vergebens. Die SPD musste gestern gleich zwei schwere Niederlagen einstecken: Sie wurde erstmals von den Grünen auf Platz zwei abgelöst, die zirka zwanzig Prozent erreichten, während die SPD auf etwa 15 Prozent kam. Zudem fiel nach 73 Jahren die rote Hochburg Bremen an die CDU.

Ob damit auch Andrea Nahles fällt? Seit einem Jahr manövriert sie die Partei durch heftige Stürme und musste bereits bei den Wahlen in Bayern und Hessen Verluste hinnehmen. Trotz Offensive bei den Sozialthemen wie der Grundrente ist es ihr nicht gelungen, die Partei aus dem Stimmungstief zu holen.

Mit gesenktem Kopf trat sie gestern vor die Menschen im Willy-Brandt-Haus. Sie sprach von „schmerzlichen Ergebnissen“, die zeigen, „dass wir noch viel zu tun haben“.

Es wird kaum bei dieser Analyse bleiben, wenn sich heute das Parteigremium zur Krisensitzung trifft. Was fest steht: die Niederlage wird die Koalitionsgegner mobilisieren, die darauf hinweisen, ob das rot-schwarze Bündnis der SPD mehr schadet als nützt. Und es könnten sich Nahles’ interne Gegner wieder aus der Deckung wagen. Seit Tagen kursieren Gerüchte, wonach ausgerechnet ihr Vorgänger Martin Schulz seine Chancen auslotet, Andrea Nahles an der Spitze der Bundestagsfraktion abzulösen. Nicht zu vergessen Sigmar Gabriel, der sie auffordert, Konsequenzen zu ziehen („Alles und alle gehören auf den Prüfstand“).

Vizekanzler Olaf Scholz versuchte noch am Sonntag die Debatte zu dämpfen: „Der Ruf nach personellen Konsequenzen führt nicht weiter“, erklärte er in der ARD. Generalsekretär Lars Klingbeil warnte ebenfalls vor Personaldiskussionen. Man müsse darüber reden, wie die Partei stärker wird, erklärte er. Ob dies in der Großen Koalition passiert oder nicht, ist fraglich.

Der Koalitionspartner Union musste ebenfalls starke Verluste hinnehmen. Am Ende waren es nur um die 28 Prozent, die der Balken auf der Leinwand anzeigte. Obwohl es da keinen Grund zum Feiern gibt, kam der Applaus wie auf Knopfdruck von den oberen Rängen im Adenauer-Haus. Vor der Kamera stellte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak aber schnell klar, dass es „nicht das Ergebnis ist, das wir wollten“. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die in dieser Rolle ihre erste Wahl bestritt, räumte ein, dass es nicht der Anspruch einer Volkspartei sei.

Deutschland: Große Koalition abgestraft, Nahles in Not

Defizit: Klimapolitik

In ihrer ersten Analyse sprach sie Themen an, die ihre Partei nicht am Schirm hatte: Digitalisierung und Umweltschutz. „In diesem Wahlkampf ging es vor allem um das Thema Klima und Klimaschutz.“ Dort habe die CDU Defizite – ebenso wie beim Umgang mit sozialen Medien. Die Erkenntnis lehrte sie kürzlich ein 26-jähriger YouTuber, der die CDU, aber auch die mangelnde Umweltpolitik der Großen Koalition in einem millionenfach geklickten Video kritisierte. Die Christdemokraten reagierten durch die Bank empört und herablassend, wie zuvor schon bei den Demos zum Klimaschutz und Urheberrechtsgesetz. Das schlug sich auch bei den Wahlen nieder: 33 Prozent der unter 30-Jährigen wählten die Grünen, nur 13 Prozent machten ihr Kreuz bei der Union, zehn Prozent wählten SPD.

Die Große Koalition tut sich insgesamt schwer, beim Klimathema an einem Strang zu ziehen. Da half es bisher auch nicht, dass die Kanzlerin ein eigenes Kabinett einrichtete, um das Erreichen der Klimaschutzziele und ein entsprechendes Gesetz voranzubringen.

Wenn die Parteichefs nun nach der Wahl zu Angela Merkel ins Kanzleramt kommen, wird es nicht nur um versäumte Themen gehen, vermutlich auch um die gemeinsame Zukunft. Ein Aufkündigen der Koalition würde derzeit CDU und SPD wenig helfen, beide sind geschwächt. Ein Partnerwechsel wird ebenfalls schwierig. Vor allem die Grünen können aktuell kein Interesse daran haben. Sie könnten bei Neuwahlen weit mehr herausschlagen, das hat sich gestern gezeigt.

 

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