Premier Boris Johnson hatte einen „großartigen Moment“ gefeiert, erntet jetzt aber Kritik für leere Supermarktregale in Nordirland, Fischprobleme in Schottland.
Nach einer kurzen Verschnaufpause zum Jahreswechsel steht der britische Premier Boris Johnson, wieder einmal, unter Druck.
Bei einem Radausflug im Osten Londons am Sonntag wurde er mehr als 11 Kilometer von seiner Wohnung entfernt gesichtet. Kritiker fragen nun, ob das dem Geist der englischen Lockdown-Regeln, laut derer man sich im lokalen Umfeld bewegen soll, entspricht.
Ein Thema, vor dem Johnson auf keinen Fall mehr davonradeln kann, ist der Brexit, den der Premier als „großartigen Moment“ für Großbritannien gefeiert hatte. Seine Folgen – und Kritik daran – tauchen aber bereits in verschiedenen Teilen des von der Corona-Krise schwer gezeichneten Landes auf.
So macht derzeit ein TV-Beitrag über Fähren-Ankünfte in den Niederlanden Furore. Er zeigt wie Grenzbeamte einem Briten Schinkensandwiches abnehmen, weil Produkte tierischen Ursprungs unter dem Brexit-Handelsabkommen nicht mehr in die EU eingeführt werden dürfen. Auf die Frage, ob er das Brot behalten darf, meint ein Beamter: „Nein, alles wird beschlagnahmt. Willkommen beim Brexit, Sir“.
„Besorgniserregend“
Mit leeren Händen steht auch so mancher Supermarkt-Besucher in Nordirland da, wo über teils leere Regale, vor allem bei frischem und gekühlten Essen, geklagt wird. Manche Firmen haben vorübergehend Lieferungen ausgesetzt, weil in Nordirland weiterhin die Regeln des EU-Binnenmarkts gelten. Das bedeutet aber neue Zoll- und andere Formalitäten, die nicht alle sofort kannten oder auf sich nehmen wollten. Die nordirische Regierungschefin Arlene Foster nannte die Versorgungsprobleme „sehr besorgniserregend“.
Auch so manche schottische Fischer haben EU-Exporte vorerst eingestellt, weil neue Gesundheitszeugnisse und Zollformulare zu Mehrkosten und Verzögerungen führen, die für Frischware zum Verderben werden können. Langusten und Jakobsmuscheln gelangten bisher etwa nach nur etwas mehr als einem Tag in französische Läden – jetzt dauert es laut Experten oft dreimal so lange. Sie warnen, die neuen Kosten könnten Profite auslöschen.An der Grenze in Dover war der Lkw-Frachtverkehr bisher eher ruhig.
Experten machen dafür vor allem die Feiertage, Lockdowns und erhöhte Lagervorräte vor dem Brexit verantwortlich. Sogar der britische Staatsminister Michael Gove warnt aber: „In den kommenden Wochen erwarten wir erhebliche zusätzliche Störungen“. Bei Paket-Dienstleistern und Modeketten gibt es diese bereits. DPD hat Lieferungen in die EU vorübergehend eingestellt, weil 20 Prozent aller Pakete bisher ohne ausreichende Zollerklärung aufgegeben wurden und an Absender zurückgeschickt werden mussten. Und weil Textilwaren, die in Asien hergestellt werden, jetzt beim Versand verzollt werden müssen, liefern Einzelhändler John Lewis und TKMaxx vorerst nicht nach Nordirland.
Auch die Musikindustrie stimmt Klagelieder an. Stars wie Dua Lipa fordern, dass die Regierung ein Abkommen über EU-Tourneen verhandelt.
David Henig vom Think Tank European Centre for International Political Economy erwartet, andere Firmen und Sektoren werden in naher Zukunft auch auf Brexit-Probleme stoßen. „Es wird noch viel passieren“, sagt er dem KURIER. Manche Auswirkungen sind eher skurril. Sollte der Radfan Johnson etwa einen neuen Sattel von Brooks England im Auge haben, muss er ihn bei der Mutterfirma in Italien bestellen.
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