Der Befund, dass in einer über 240 Jahre alten Demokratie Parlamentarier um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen und Gewissensentscheidungen treffen, korrespondiert mit ernüchternden Lageberichten der Sicherheitsbehörden, die durch eine ungewohnt handzahme Video-Ansprache Trumps noch verstärkt wurden. Der nach Ende seiner Amtszeit eine tatsächliche Amtsenthebung durch den Senat fürchtende Präsident distanzierte sich am Mittwochabend erstmals rhetorisch mit Nachdruck auch von künftigen Gewalttaten und warb für nationale Versöhnung.
Prekärer Hintergrund: Der Gewaltmarsch auf die Abgeordneten im Kapitol, bei dem möglicherweise Geiselnahmen und Tötungsdelikte geplant waren, war offenbar nur der Auftakt zur einer Aufstandsbewegung, die nicht weniger als den Sturz der amerikanischen Demokratie zum Ziel hat.
FBI und Justizministerium sprachen wörtlich davon, dass die von Trump angestachelte Gewalt am 6. Januar Teil einer „weitreichenden, gut organisierten aufrührerischen Verschwörung“ sei. Für die nächsten Tage, Wochen und Monate müsse von einer „konstant hohen, koordinierten Bedrohungslage“ ausgegangen werden – und zwar im ganzen Land.
Rund um die Amtseinführung von Präsident Joe Biden bestehe die „reale Gefahr“ von Anschlägen nicht nur in der Hauptstadt. Sondern auch auf die Kapitole (Parlamentssitze) einzelner Bundesstaaten.
Die Vereinigung der Gouverneure spricht von der größten Bedrohungslage seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Nach Erkenntnissen der Site-Organisation in Maryland, die extremistische Aktivitäten weltweit beobachtet, sind schon am Sonntag in mehreren Bundesstaaten „bewaffnete Märsche“ geplant.
Ob in Atlanta (Georgia), Lansing (Michigan), Albany (New York) oder Sacramento (Kalifornien) – fast überall haben die regional Verantwortlichen Polizei und Nationalgarden in Alarmbereitschaft gesetzt. Szenen von Beton-Barrieren, Hundestaffeln und bewaffneten Patrouillen, die an den Parlamenten aufmarschieren, sind inflationär oft im Fernsehen zu sehen. Denn über das, was kommen könnte, weiß man laut FBI und Heimatschutzministerium relativ gut Bescheid. So wurde auf der kürzlich vom Netz genommenen Internet-Seite „Patriot Action for America“ dazu aufgerufen, „unter allen Umständen zu verhindern, dass Joe Biden ins Amt eingeführt wird“. Durch frühzeitiges Einzirkeln von Kongress, Supreme Court und Weißem Haus solle Präsenz erzeugt werden, um am 20. Jänner zuschlagen zu können. Was angesichts von weiträumigen, militärisch präzisen Absperrungen und 20.000 Nationalgardisten, die in den nächsten Tagen in der Hauptstadt zusammengezogen werden, nahezu aussichtslos erscheint. In den Bundesstaaten, wo die Ressourcen begrenzt sind, sehe die Lage anders aus.
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