Griechenland wählt: Stabilität statt Lederjacke und Motorrad
Der konservative Premier Mitsotakis dürfte am Sonntag wieder die absolute Mehrheit erreichen. Sein Erfolg fußt auf den Ängsten der Griechen – und dem Versagen der einstigen linken Politstars Tsipras und Varoufakis.
Noch vor wenigen Jahren schwärmten die Griechen für einen Lederjacke tragenden "Popstar der Ökonomie", der sich selbst als "erratischen Marxisten" beschrieb, Motorrad fuhr und das Hemd auch zu offiziellen Ministertreffen locker über die Hose hängen ließ; der der EU, nachdem sie Athen gezwungen hatte, die Banken zu schließen, "Terrorismus" vorwarf. Gemeinsam mit einem Ex-Kommunisten, der die Verstaatlichung der Unternehmen forderte und von einem mittelmeerländischen Bündnis gegen "Berlin" träumte, bildete er eine Art Duo Infernal.
Doch so schnell wie ein Politstern in Griechenland aufsteigt, fällt er wieder: Yanis Varoufakis (62) schafft bei der Neuwahl in Griechenland am Sonntag mit seiner Kleinpartei wohl nicht einmal die Drei-Prozent-Hürde; die größte mediale Aufmerksamkeit erhielt er zuletzt, als er in einer Bar in Athen brutal niedergeschlagen wurde. Sein Ex-"Partner in Crime", Alexis Tsipras (48), gilt als Machtmensch, der im Wahlkampf kaum über Programm, sondern lieber über die Skandale der Regierung – Lauschangriffe auf Oppositionelle und Journalisten, Vetternwirtschaft, die 57 Toten beim Zugunglück im Februar – sprach, mit denen sich die Bevölkerung aber längst abgefunden hat. Seiner Syriza kostete das beim Urnengang im Mai ein Drittel ihrer Wähler.
Acht Jahre nach Höhepunkt der Finanzkrise und dem Höhenflug der Linkspolitiker hat die Bevölkerung einen neuen Liebling. Und der hat so gut wie nichts gemein mit Varoufakis und Tsipras.
Faktor für "Stabilität"
Kyriakos Mitsotakis (55) fährt kein Motorrad, sondern E-Auto, trägt Krawatte statt Lederjacke. Er stammt aus einer kretischen Politikerdynastie – schon sein Vater war Regierungschef – , ging auf eine Athener Privatschule, studierte in Harvard und Stanford und arbeitete für Investmentfirmen und Privatbanken. Der seit vier Jahren amtierende, wirtschaftsliberale Konservative dürfte sein Ergebnis von 41 Prozent im Mai jetzt noch verbessern, und sich, dank neuem Wahlrecht, die Absolute im Parlament sichern.
"Mitsotakis steht für Stabilität", erklärt Nick Malkoutzis vom unabhängigen Polit-Institut MacroPolis in Athen gegenüber dem KURIER dessen Erfolg. Er verspreche Schutz vor einer Wirtschaftskrise, Schutz vor der Nachbarin Türkei, Schutz vor Migranten – vor allem, wovor sich die Griechen derzeit fürchten: "Die Erinnerung an die Krise in 2015 sitzt den Menschen noch tief in den Knochen. Genauso wie jene an den Februar 2020, als die Türkei die Grenze für Zehntausende Flüchtlinge öffnete und diese über Griechenland in die EU schickte." Doch sei nicht alles so rosig, wie es Mitsotakis und seine treuen Medien propagieren, betonen Malkoutzis wie Experten.
Bei der Parlamentswahl am 21. Mai holte die konservative Nea Dimokratia (ND) von Mitsotakis rund 41, die linkspopulistische Syriza 20 Prozent. Weil Koalitionen in Griechenland unüblich sind und Mitsotakis lieber allein regieren wollte, wurden Neuwahlen ausgerufen. Mitsotakis’ Kalkül: das neue Wahlsystem, das nun gilt und der Partei mit den meisten Stimmen bis zu 50 zusätzliche Parlamentssitze beschert. Die ND, die ihren Vorsprung wohl weiter ausbauen wird, holt so wohl die Absolute.
56,2 Prozent der fast zehn Millionen Stimmberechtigten gingen im Mai wählen. Griechenland kämpft seit Jahren mit Wahlbeteiligung unter 60 Prozent.
Nicht alles ganz rosig
Ja, die Arbeitslosigkeit ist von 19 auf 11 Prozent gesunken. Der Staat wurde entbürokratisiert und digitalisiert. Die Senkung der Unternehmenssteuer zog ausländische Investoren nach Hellas. Doch auch wenn kein anderes Mitglied der Euro-Zone seine Schuldenquote in den vergangenen zwei Jahren so stark gesenkt hat wie Griechenland, liegt sie immer noch bei 171 Prozent des BIP. Die Bevölkerung ist nach wie vor eine der ärmsten der EU, der Grieche verdient im Schnitt 15.000 Euro netto im Jahr. Die meisten geschaffenen Jobs sind Minijobs und im Tourismus.
Auch der Preis für den Rückgang der Flüchtlingszahlen, sodass die Griechen auf Inseln wie Lesbos oder Samos wieder "normal" leben könnten, wie die Regierung behauptet, ist hoch: Mittlerweile gibt es Videobeweise illegaler Pushbacks, von denen Küstenwache und Regierung zumindest wissen, im schlimmsten Fall sogar verantwortlich sind. Die Griechen tolerieren diese zugunsten ihrer "Normalität": "Die Menschen sind Krisen- und Wahl-müde. Für viele geht es deswegen nicht mehr um links oder rechts, sondern einfach nur um Stabilität und Normalität."
Auch deswegen dürften die jüngst 500 ertrunkenen Geflüchteten vor Peloponnes dem Erfolg der Konservativen keinen Abbruch tun. "Wenn überhaupt wird das Unglück die Unterstützung für die Konservativen sogar noch verstärken", meint Malkoutzis.
Kein Vertrauen in Politik
Malkoutzis ist sich sicher: "Wären die Linke organisierter und die Medien differenzierter, dann hätte Mitsotakis größere Schwierigkeiten, die Wähler hinter sich zu sammeln." Kurz vor dem Urnengang im Mai hat das Meinungsforschungsinstitut MRB gefragt, mit welchem Wort die Griechen die Zukunft ihres Landes beschreiben würden. 42,7 Prozent der Befragten wählten die Worte "Resignation/Frustration", gefolgt von "Wut" (40,7 Prozent). "Vertrauen" haben dagegen nur 13 Prozent angegeben – wenig in Premier Mitsotakis, noch weniger in Tsipras. Das spiegelt sich auch in der Wahlbeteiligung wieder (Mai 2023: 56,2 Prozent).
Ein Ass im Hemdsärmel hat sich Mitsotakis aber jedenfalls selbst zuzuschreiben: die internationale Anerkennung, die er Griechenland mit der Spardisziplin und den schönen Wirtschaftszahlen bei der EU einbringt. Und das ohne Lederjacke und Motorrad.
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