Wahl in Griechenland: Eine weitere griechische Tragödie

Students protest in Greece over deadly train crash, in Athens
Die Jungen gelten als große Unbekannte bei der Wahl am Sonntag. Dass Premier Mitsotakis bereits jetzt auf Neuwahlen spekuliert, motiviert wenig.

Vor einigen Monaten haben die griechischen Politiker die sozialen Medien entdeckt. Alexis Tsipras, Ex-Premier und Chef der linken Oppositionspartei Syriza, ließ sich von einer Influencerin auf Instagram interviewen. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zeigte sich in Tik-Tok-Videos selbstironisch und "Behind the Scenes" seiner offiziellen Termine, dazu Rockmusik im Hintergrund. "Seine Videos sind perfekt", kommentierte eine Userin, "wählen werde ich ihn trotzdem nicht."

Mit allen Mitteln und Plattformen versuchten die griechischen Politiker in den vergangenen Wochen, die 440.000 Erstwähler für sich zu gewinnen: Sie gelten als die große unbekannte Variable bei der Wahl am Sonntag, fühlen sich von den herkömmlichen Parteien aber wenig vertreten. Mitsotakis versuchte, sie mit der Einführung eines 150-Euro-Gutscheins für kulturelle Aktivitäten zu ködern, Tsipras mit dem Versprechen, die Zahl der Lehrenden an den Unis zu erhöhen und Aufnahmeprüfungen abzuschaffen.

Am wahrscheinlichsten ist aber, dass viele von ihnen gar nicht zur Urne gehen – so wie Hunderttausende andere Griechen. 2019 lag die Wahlbeteiligung bei 58 Prozent, am Sonntag wird mit einem ähnlichen Ergebnis gerechnet.

GREECE-TRANSPORT-ACCIDENT-DEMONSTRATION

Erstwähler protestieren für die Aufklärung der schlimmsten Zugkatastrophe des Landes, bei der Anfang März 57 Menschen starben. 

"Es ist die siebte Wahl seit 2009, mittlerweile saß jede Partei mindestens einmal in der Regierung. Geändert hat sich trotzdem nichts. Die Menschen haben es satt", so Nick Malkoutzis vom unabhängigen Polit-Institut MacroPolis in Athen zum KURIER.

Angst vor einer Krise wie 2015

In den Umfragen liegt Mitsotakis’ konservative Nea Dimokratia (ND) bei 36 Prozent, Tsipras’ Syriza bei 29, die sozialdemokratische Pasok bei zehn. Thematisch wurde der Wahlkampf – wieder einmal – von der wirtschaftlichen Lage des Landes bestimmt.

Auch wenn sich die Wirtschaft nach der Schulden- und Finanzkrise stabilisiert hat, die Arbeitslosigkeit gesunken und der gewaltige Schuldenberg des Landes geschrumpft ist – "die Gehälter sind immer unter denen von 2009, als die Krise begann. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch über zehn Prozent, noch höher ist sie unter der jungen Bevölkerung. Die geschaffenen Jobs sind meist prekär, befristet, Teilzeit oder saisonal“, erklärt Malkoutzis. Inflation und Teuerungen befeuern die Ängste der Bevölkerung. "Die Erinnerungen an Instabilität und Unsicherheit wie in 2015 sind noch fest in den Köpfen der Menschen", so Malkoutzis.

Bei den Jungen kommen Unzufriedenheit und Wut auf die Korruption der politischen Elite dazu, die für das verheerende Zugunglück mit 57 Toten Anfang März verantwortlich gemacht wird, sowie das teils brutale Vorgehen der Polizei gegen die Proteste danach.

Main Athens rally of main opposition leader Alexis Tsipras ahead of May 21 vote

Tsipras versprach im Falle eines Sieges die Anhebung des Mindestlohns und einen automatischen jährlichen Inflationsausgleich. Die Skepsis der Bevölkerung ist ihm gegenüber aber nach wie vor groß.

Die Opposition versuchte im Wahlkampf, die Unzufriedenheit gegen die Regierung für sich zu nutzen: Wohlstand und Wachstum würden ungleich verteilt, so ihr Vorwurf, es profitierten vor allem der Regierung Nahestehende. Die Regierung konterte: Man habe das Land stabilisiert, sei auf dem richtigen Weg. "Wollt ihr das wirklich riskieren?", fragt Mitsotakis die Bevölkerung.

Mitsotakis will lieber allein regieren

Noch etwas dürfte für eine geringe Wahlbeteiligung sorgen: Mitsotakis’ öffentliches Spekulieren auf Neuwahlen Anfang Juli. Denn bei der Wahl am Sonntag gibt es erstmals keinen Bonus von bis zu 50 Parlamentssitzen für die stimmenstärkste Partei. Der Bonus wurde nach Ende der Militärdiktatur 1974 eingeführt, um die Regierungsbildung zu vereinfachen und Stabilität zu garantieren, wurde unter Tsipras aber abgeschafft – wohl um sich selbst, sollte die Syriza eines Tages in der Opposition landen, zu stärken. Mitsotakis hat die Regelung wieder eingeführt, sie gilt aber erst bei der nächsten Wahl.

Dahinter steckt Mitsotakis' Hoffnung, die Alleinregierung weiterführen zu können, anstatt sich mit der sozialdemokratischen Pasok in eine Koalition zwängen zu müssen. Deren Beziehung gilt sowieso als angeschlagen, schließlich war der Parteivorsitzende eines der Opfer des Abhörskandals, den Mitsotakis im vergangenen Jahr aber elegant unter den Teppich kehrte.

GREECE-POLITICS-ELECTION

Mitsotakis hofft öffentlich auf Neuwahlen Anfang Juli. Dahinter steckt seine Hoffnung, die Alleinregierung weiterführen zu können.

Keine Neuauflage Tsipras-Varoufakis

"Zudem profitiert Mitsotakis von einem traditionellen Fremdeln der Bevölkerung mit Koalitionsregierungen", sagt Malkoutzis. Erfahrung mit dem Führen von Koalitionen hat nur Tsipras, "doch die Opposition hat es nicht geschafft, sich kohärent und geeint darzustellen." Eine Neuauflage einer Regierung Tsipras-Varoufakis – der frühere Finanzminister dürfte es mit seiner linken MeRA25 ganz knapp ins Parlament schaffen – gilt daher als unwahrscheinlich.

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