Entlang der Grenze zu Mexiko: Auf der Jagd nach illegalen Einwanderern
Massenabschiebungen, doppelte Grenzkontrollen und Zurückweisen: Die Südgrenze der USA zu Mexiko ist ein Vorgeschmack auf das, was Europa bevorstehen könnte. Ein Ortsbesuch.
Ein lila angepinselter Felsen mitten im Nirgendwo verrät, für wen das Herz in Boca Chica schlägt: „Wir lieben Elon“ hat jemand darauf geschrieben. Hier im äußersten Südwesten des US-Bundesstaates Texas beginnt die derzeit wohl umstrittenste Grenze der Welt. Sie trennt den reichen Norden, vom sogenannten globalen Süden. Genau hier hat Tech-Milliardär Elon Musk einen Firmensitz von SpaceX und lässt seine Raketen in den Himmel steigen.
Nur einen Steinwurf entfernt beginnt die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Von hier geht es weiter, immer der Grenze entlang, Richtung Westen, inklusive Abstecher sind es nach sechs Tagen rund 3.400 Kilometer – stets auf der am nächsten gelegenen Straße. Die Grenztour endet im äußersten Südwesten der USA, in Imperial Beach in Kalifornien.
Hier an der Südgrenze der USA ist zu erleben, worüber in Europa gerade diskutiert wird: Massenabschiebungen, Zurückweisungen, Grenzschutz. Wie vor dem texanischen Brownsville, wo sich ein Güterzug im Schneckentempo über die Grenze in Richtung USA schiebt. Die Grenzbrücke, über die die Waggons rollen, ist komplett eingezäunt. Sensoren, Kameras oder die Augen des Grenzschutzes (Border Patrol) erkennen sofort, wer sich in den Waggons befindet oder ob jemand versucht vom Zug abzuspringen.
Wer trotzdem springt, ist in einer Art Käfig gefangen. Allein im ersten Halbjahr zählte die Grenzschutzbehörde sogenannte „Zusammentreffen“ mit etwa 1,8 Millionen Migranten, die die Grenze irregulär übertraten. Für viele geht es direkt wieder zurück über die Grenze nach Mexiko oder in ihre Heimatländer:
„Die 1,1 Millionen Abschiebungen seit Beginn des Fiskaljahres 2021 bis Februar 2024 sind auf dem besten Weg, die 1,5 Millionen Abschiebungen zu erreichen, die in den vier Jahren der Amtszeit von Präsident Donald Trump durchgeführt wurden“, schreibt der US-Thinktank Migration Policy Institute (MPI) über die Abschiebebemühungen der Administration von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris.
Weiter westlich zwischen Brownsville und Del Rio ist zu erleben, wie ausgeklügelt das System der Grenzsicherung auch weitab der eigentlichen Grenzen ist. „Smuggling illegal Aliens is a Federal Crime“ (Das Schmuggeln illegaler Ausländer ist ein Bundesverbrechen) ist auf einem grünen Schild am Rand des Highways zu lesen.
Nur ein paar Meilen später gibt es die Aufforderung, das Tempo zu drosseln. Hier befindet sich einer der sogenannten „Interior Checkpoints“, also zusätzliche Grenzkontrollen im Landesinneren. „Amerikanischer Staatsbürger?“, fragt der Beamte der Border Patrol. „Alle Dokumente bereit?“
Es dauert ein, zwei Sekunden, dann laufen Drogenspürhunde an den wartenden Autos vorbei. Inzwischen gibt es mehr als 70 Hinterlandkontrollen in den USA entlang der Grenze. Knapp die Hälfte davon ist stationär, die anderen tauchen unangekündigt auf. Diese nicht vorhersehbaren, dynamischen Kontrollen sollen helfen, den Menschen- und Drogenschmuggel zu stoppen – und gehören zu einem unausgesprochenen Konsens zwischen Republikanern und Demokraten.
In den USA werden sie durchgeführt von der Grenzschutzbehörde CBP, die direkt dem Heimatschutzministerium der US-Regierung in Washington unterstellt ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 hat sich die Personalstärke in den letzten Jahren auf inzwischen mehr 60.450 Mitarbeiter und ihr Jahresetat auf 17 Milliarden US Dollar Jahresetat erhöht.
Für irregulär eingereiste Migranten, die glauben, sie hätten es erfolgreich über die US-Grenze geschafft, sind diese dynamisch auftretenden Hinterlandkontrollen ein bisweilen völlig unerwartetes Hindernis, weil sie bis zu 120 Kilometer weit ins Landesinneren auftauchen können.
Immer wieder kommt es zu Todesfällen, weil Migranten versuchen diese unerwarteten Kontrollen kurzfristig zu umlaufen und dann schlecht vorbereitet in der Wüste umkommen.
Binnen-Checkpoints
Auf österreichische Verhältnisse übersetzt würde das bedeuten: Wer eine deutsch-österreichische Grenze übertritt, müsste auch hinter München noch mit einer zusätzlichen Kontrolle rechnen. Die Binnen-Checkpoints sind eigene hochmoderne Grenzstationen, mit eigenen Grenzhäuschen, Hundestaffeln, Wärmebildkameras und Sensoren – die man nicht umfahren kann. Sie stehen entlang von Landstraßen und nicht an der Grenze.
Hier in Texas wird der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump bisweilen verehrt wie ein Heiliger. „Gott, Waffen und Trump“ steht auf der Flagge, die auf einem Holzschild kurz vor Sanderson auf einem Parkplatz vor einem kleinen Café inmitten der texanischen Steppe aufgemalt ist. In dem Café steht ein kleiner Altar, der Donald Trump gewidmet ist.
Ein paar gerahmte Porträts des Republikaners darauf. „Die Bilder können Sie kaufen“, sagt der Inhaber. „Er war ein guter Präsident, der Beste, den wir je hatten.“ Dann spricht er von einer Invasion durch illegale Migration über die Grenze und die Zerstörer der christlichen Werte wie der Familie, für die die Demokraten verantwortlich seien. „Biden und Harris sind eine Katastrophe für unser Land.“
Frische Spuren
Es geht weiter nach El Paso: Auf den Landstraßen entlang der Grenze ist stundenlang kein Auto zu sehen. Manchmal aber ist ein Fahrzeug der Border Patrol zu erkennen. Eines zieht auf einem nicht asphaltierten Feldweg parallel zur Landstraße einen großen Autoreifen an einer Stahlkette hinter sich her.
Später werden die Beamten dadurch frische Fuß- unter Reifenspuren erkennen, die nachts von illegal eingereisten Migranten hinterlassen werden.
Das auf diesem einsamen Abschnitt einzig empfangbare Radioprogramm heißt „Religious Talks“. Ein Analyst des evangelikalen Senders warnt vor Politikern wie Joe Biden oder „Anschela Mörkel“. Deren Migrationspolitik gefährde den Fortbestand des christlichen Abendlandes.
Immer wieder tauchen große Lücken im Grenzzaun aus Stahl auf, sodass das Portal „The Texas Tribune“ spottete, „mit einer halben Meile pro Woche wird der Bau der Grenzmauer etwa 30 Jahre dauern und 20 Milliarden Dollar kosten“. Wo keine Mauer steht, parken im Abstand von ein paar Hundert Metern mal besetzte, mal unbesetzte Fahrzeuge der Border Patrol.
49,8 Grad im Schatten
Wie lebensgefährlich die illegale Migration durch die Wüste ist, zeigt das Thermometer auf der nächsten Station in Kalifornien. Exakt 49,8 Grad misst es an diesem Nachmittag. Im Schatten. Es ist so heiß, dass schon nach zwei, drei Minuten außerhalb des Fahrzeugs klar ist, warum hier im Grenzgebiet zwischen Arizona und Kalifornien so viele Migranten auf der Flucht verdursten. Von 2018 bis 2022 hat sich der Zahl der registrierten toten Migranten, die in der Wüste ums Leben kamen, auf 895 vervierfacht.
Aktivisten stellen deshalb entlang bekannter Fluchtrouten Wasserflaschen in der Wüste auf.
Auch in Kalifornien unter Gouverneur Gavin Newsom, einem Demokraten, haben sich die Menschen längst mit der Mauer arrangiert. An hohen Überwachungsmasten sind Kameras installiert, die die Gegend absuchen, und Scheinwerfer, die das Umfeld nachts taghell erleuchten. Betrieben werden sie mit Solarenergie – die Jagd auf illegale Einwanderer ist hier wenigstens klimaneutral.
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