Globalisierungskritik ist in – von links bis rechts

Globalisierungskritik ist in – von links bis rechts
Krieg und Pandemie haben Globalisierungskritik politfähig gemacht. Politiker aller Couleurs stürzen sich darauf, meinen aber selten dasselbe.

Anfang August bei der rechtskonservativen CPAC-Konferenz in Texas: Der nationalkonservative Ministerpräsident Ungarns, Viktor Orbán, ruft zum Kampf gegen den aus Brüssel diktierten Liberalismus und die "progressiven Linken und Kommunisten" auf. Das Publikum applaudiert.

Einige Monate zuvor in Frankreich: Der altlinke Oppositionsführer Jean-Luc Mélenchon wettert mit erhobener Faust gegen die "kapitalistische EU", gegen deutsch-französische Rüstungskooperationen und das "liberale System".

Klingt ähnlich, die Kritik an den Leitbildern der globalisierten Welt. Der Unterschied: Einmal kommt sie von links, einmal von rechts. Auch im aktuellen Wahlkampf in Brasilien muss man genau zuhören, wer da gerade spricht, wenn gegen das "Establishment" geschimpft wird: der Linke Lula da Silva oder der Rechtskonservative Jair Bolsonaro?

Globalisierungskritik ist in. Und zwar nicht nur links und rechts, sondern auch in der sogenannten Mitte: "Corona, Lieferkettenprobleme und der Krieg in der Ukraine haben zu einer allgemeinen Sensibilisierung unserer Gesellschaft gegenüber internationalen Verflechtungen geführt", sagt der deutsche Politikwissenschaftler Hans-Jürgen Bieling zum KURIER. Er lehrt Internationale Politische Ökonomie an der Uni Tübingen.

Globalisierungskritik ist in – von links bis rechts

Orbáns Feind ist das liberale Brüssel – ähnlich sieht das ...

Ihre Anfänge hat die Globalisierungskritik in einer Zeit, in der noch nicht mal ein eigenes Wort für die "Intensivierung weltweiter ökonomischer, politischer, kultureller und informationstechnischer Verflechtungen" existierte: "Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Gegenreaktionen", so Bieling.

Klasse gegen Nation

Der Begriff selbst kam erstmals in den 70er-Jahren auf – und war ursprünglich links konnotiert. "Damals wurden primär die Strukturanpassungsprogramme in Lateinamerika kritisiert, die zu den Schuldenkrisen der Länder beitrugen", so Bieling.

Mit dem Wiederaufkommen der rechtspopulistischen Bewegungen hat auch diese Strömung das Thema für sich entdeckt – und eine neue Art der Globalisierungskritik hervorgebracht.

Denn linke Globalisierungskritik ist nicht gleich rechte Globalisierungskritik. "Beiden Verständnissen liegt die soziale Ungleichheit, die die Globalisierung mitverursacht hat, zugrunde. Doch die Linken kritisieren vorrangig die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Macht transnationaler Konzerne. Die Rechten fürchten den kulturellen Austausch und sehen die nationale Homogenität bedroht."

Mélenchon macht aus seiner Kritik also eine Klassenfrage, ihm geht es, ganz dem linken Lehrbuch entsprechend, um Machtfragen und Ausbeutung; Orbán schlägt den nationalistischen, exklusiven Kurs ein.

Globalisierungskritik ist in – von links bis rechts

... der linke Mélenchon. Doch ihre Kritik ist nicht dieselbe.

Ähnlich ungleich ist auch der Lösungsansatz, der von den jeweiligen Seiten propagiert wird: Von links wird eher eine alternative, sozial gerechtere Globalisierung überlegt. Die Rechten tendieren zu Protektionismus.

Bieling zufolge ist Kritik nicht notwendigerweise populistisch, sondern in vielen Bereichen legitim: "Das Versprechen, dass alle von der Globalisierung profitieren, hat sich nicht erfüllt. Es gibt Globalisierungsgewinner und Globalisierungsverlierer."

Einem Bericht des Entwicklungshilfeverbands Oxfam zufolge hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung seit 1995 fast 20-mal mehr Vermögen angehäuft als die ärmsten 50 Prozent der Menschheit zusammen. Seit der Pandemie wachse die Kluft zwischen Arm und Reich sogar noch schneller. 

Nicht nur ein Trend

Der Stoff für Globalisierungskritik werde den Orbáns, Mélenchons, Lulas und Bolsonaros künftig nicht ausgehen, selbst wenn sich Vormachtstellungen innerhalb des Weltsystems änderten, sagt Bieling: Bisher habe die USA mit Unterstützung der EU die Globalisierung entlang marktliberaler Zielvorstellungen vorangetrieben. Unter einer anderen Weltmacht werde es ebenso, nur andere Kritik geben.

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