Geringer Einsatz der EU im Brexit-Roulette
Niedriger konnte Theresa May die Erwartungen gestern gar nicht mehr ansetzen: „Ich erwarte keinen unmittelbaren Durchbruch“, sagte die britische Premierministerin Donnerstag vor dem Treffen mit den 27 anderen EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Aber zumindest rettende „Zusicherungen“ der
EU hoffte sie wieder mit nach Hause nehmen zu können.
Die Kugel rollt im großen Brexit-Roulette. Und so lange das britische Parlament das mit der EU ausverhandelte Austrittsabkommen nicht annimmt, bleibt unklar, wo die Kugel landet: Bei der geregelten Scheidung der Briten von der EU oder beim gefürchteten harten Brexit.
In Brüssel hat man den Einsatz der 27 EU-Staaten längst auf den Tisch gelegt – den knapp 600 Seiten langen Trennungsdeal. Doch die nach ihrem überstandenen Misstrauensvotum frisch gestärkte May braucht und hofft auf mehr: Die Zusicherung, dass die Nordirland-Notfalllösung, die Großbritannien weiter in der EU-Zollunion hält, keine Dauerlösung bleibt.
Was genau will May? Bundeskanzler Sebastian Kurz ebenso wie alle anderen Staats- und Regierungschefs wollten der bedrängten May die Hand reichen. Doch bis zum gemeinsamen Abendessend blieb gestern unklar: Was genau will May? Und wie kann ihr so geholfen werden, dass die britische Regierungschefin den Deal durch ihr Parlament bringt?
Bei allen Erklärungen, „aufeinander zuzugehen“, bleibt das Angebot der EU-27 dennoch ein überschaubares: In einer politischen Erklärung könnte festgehalten werden, dass die nordirische Notfalllösung („Backstopp“) „nur vorübergehend angewendet wird“ – und das auch „nur, bis eine dauerhafte Einigung gefunden ist“.
Primosch (ORF) zum weiteren "Brexit"-Vorgehen
Darüber hinaus bleibt man in Brüssel vorsichtig. In der Annahme, dass Regierungschefin May ihr Parlamentsvotum erst im Jänner abhalten werde, wollten die EU-Granden ihren Einsatz gestern nicht weiter erhöhen. Vorerst nicht. So soll vermieden werden, dass jeder Vorschlag aus Brüssel in London sofort zerrissen wird.
Aber unmittelbar vor der Abstimmung in London, so wurde in den Fluren des Ratsgebäudes gestern kolportiert, könnte der Einsatz doch noch einmal erhöht werden. Nur eines war am EU-Gipfel von allen Seiten zu hören: Das Austrittsabkommen zwischen EU und London wird nicht mehr neu verhandelt.
Alle anderen Themen – von der jüngsten Ukraine/Russland-Krise bis zum geplanten EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 –, die Europas Spitzenpolitiker am Gipfel abhandeln wollten, spielten angesichts des sich zuspitzenden Brexit-Dramas nur Nebenrollen.
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