Der Anti-Orbán aus Budapest
Mit Wahlkampagnen kennt sich Gergely Karácsony aus, immerhin gehörte das zu seinen Forschungsschwerpunkten als Politikwissenschaftler. Außerdem ist es für Karácsony nicht neu, selbst Kandidat zu sein. Er ist bereits bei den Parlamentswahlen 2018 als Spitzenkandidat einer Mitte-Links-Allianz angetreten und gewann im Oktober 2019 die Wahl zum Budapester Oberbürgermeister gegen den von Fidesz unterstützten kandidaten.
Er kann also auf eine gute Mischung aus theoretischer und praktischer Erfahrung zurückgreifen, sollte es dazu kommen, dass er gegen den Ministerpräsidenten antritt.
Denn Gergely Karácsony, der populäre grüne Stadtchef von Budapest, hat vorige Woche seine Absicht erklärt, im nächsten Jahr bei der Parlamentswahl gegen Viktor Orbán antreten zu wollen.
Aus sechs mach eins
Doch vorher gilt es eine andere Wahl zu schlagen: Denn gegen den massiven Machtapparat Orbáns in Staat und Medien kann man kaum etwas anrichten, wenn man keinen Plan hat. Deshalb haben sich – wie schon bei Kommunalwahlen zuvor – alle nennenswerten Oppositionsparteien zu einem breiten Sechser-Bündnis zusammengeschlossen, das von der ehemals rechtsextremen Jobbik bis zu den Sozialisten reicht. In einer Vorwahl im Herbst will man den Kandidaten oder die Kandidatin küren. Neben Karácsony haben sich auch noch andere für die Ausscheidung gemeldet.
Viermal Viktor Orbán
Im Frühling soll gewählt werden. Sechs Oppositionsparteien (DK, Jobbik, LMP, MSZP, MM, PM) wollen mit einem gemeinsamen Premierskandidaten ins Rennen gehen.
Nach seiner Amtszeit von 1998 bis 2002 regierte Orbán mit drei Kabinetten seit 29. Mai 2010: Kabinett Orbán II (2010 bis 2014), Kabinett Orbán III (2014 bis 2018), Kabinett Orbán IV (seit 2018).
Die Vorwahl im Oktober
Neben Karácsony trauen sich noch mindestens vier andere zu, gegen den mächtigen Viktor Orbán anzutreten. Die vorerst einzige Frau unter ihnen ist Klára Dobrev (49) von der sozialliberalen Demokratischen Koalition (DK). Die EU-Abgeordnete ist eine der Vizepräsidentinnen im EU-Parlament. Regierungserfahrung hat sie persönlich zwar nicht, diese liegt aber in der Familie: Ihr Mann ist der frühere Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány.
Auch die rechtsgerichtete Jobbik-Partei wird den gemeinsam gewählten Kandidaten unterstützen, rechnet sich für ihren Kandidaten, Parteichef Péter Jakab (40), aber vor allem am Land bessere Chancen aus als für den insbesondere in großen Städten beliebten Karácsony.
Dort, und vor allem in der Hauptstadt prominent ist der 32-jährige András Fekete-Győr, er ist vorsitzender der liberalen Momentum Partei, die eigentlich als Bewegung gegen die Kandidatur für Olympia 2024 entstanden ist und eine massive Mobilisierung schaffte.
Der Prototyp eines Gemeinschaftskandidaten ist aber Péter Márky-Zay (49). Er wurde 2018 zum Bürgermeister der südungarischen Kleinstadt Hódmezővásárhely gewählt, als sich die Opposition erstmals auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte, um den Fidesz-Machtapparat zu durchbrechen.
Für die meisten der sechs Parteien war es bisher das höchste der Gefühle, ein niedriges zweistelliges Ergebnis einzufahren. Als Bündnis liegen sie laut einer aktuellen Umfrage bei 50 Prozent – vor Fidesz (48 %).
Karácsony ist momentan wohl der populärste Kandidat. Er genießt den Ruf eines Friedensstifters, der in der Lage ist, Gräben zu verkleinern, Brücken zu bauen. Ob das aber die beste Strategie ist, Wähler zu mobilisieren – darüber lässt sich streiten.
Das Gegenbeispiel
Gergely Karácsony ist der große Hoffnungsschimmer der Liberalen in Ungarn. Er gilt als der fleischgewordene Anti-Orbán. Die Unterschiede zum Regierungschef sind frappant. Hier der illiberale Premier, der gerne Feindbilder und Fußballstadien aufbaut, der bei der letzten Wahl 2018 2,6 Millionen Ungarn überzeugen konnte. Da der liberale Stadtchef und Brückenbauer, der 2019 eine Petition gegen den Bau eines Sportstadions anführte und bei der letzten Wahl 600.000 Stimmen erreichte. Derzeit schärft Karácsony sein Profil, indem er sich mit aller Macht, die ihm das Amt des Bürgermeisters schenkt, gegen das EU-weit umstrittene Projekt Orbáns stellt, der eine chinesische Universität in Budapest aufbauen will.
Im Gegensatz zu Orbán, dessen Blick oft grimmig, gelangweilt oder genervt wirkt, scheint Karácsony fast immer ein Schmunzeln auf den Lippen zu haben. „Er lächelt wirklich immer“, sagt einer seiner Mitarbeiter zum KURIER. Der Bürgermeister sei immer „positiv“, immer „hilfsbereit“ und „interessiert“. Stress verarbeite er gut. „Er macht etwas Gutes daraus, selbst wenn er angegriffen wird.“
"Unglaubwürdiger" Pakt
Und das passiert oft. Dass Fidesz-nahe Medien längst auf Angriff gegen Karácsony gegangen sind, deutet darauf hin, wie ernst Orbáns Umfeld dessen Kandidatur nimmt. Der stets Orbán-treue Sender M1 hat vergangene Woche auf einen angeblichen Doktorandenskandal aufmerksam gemacht. Außerdem versucht man Karácsonys mangelnde Englischkenntnisse zu einem Hindernis zu machen. Fidesz und die regierungsnahen Medien versuchen zudem die Glaubwürdigkeit der Oppositionsallianz in Frage zu stellen, weil darin Linksliberale mit der einst ultrarechten Jobbik koalieren.
Dass die Gruppierung in ihren Parteiideologien so weit auseinander liegt, soll kein Hindernis sein, sagt Koloman Brenner von der Jobbik, Vizepräsident des Parlamentes, zum KURIER. Ein gemeinsames Regierungsprogramm wurde längst ausgearbeitet und soll in Kürze vorgestellt werden. „In Ungarn gibt es so viel zu reparieren. Damit ist eine Legislaturperiode von vier Jahren ohnehin schon ausgefüllt.“ Denn etwas eine all die sechs Parteien: Das Ziel, eine normale bürgerliche Demokratie wiederherzustellen.
Schwach am Land
Selbstverständlich werde auch die Rechtspartei Jobbik Karácsony unterstützen, sollte er im Herbst das Rennen machen. Doch Brenner glaubt, dass er es schwer haben wird und deutet auf die allgemein bekannte Schwäche des Bürgermeisters hin: Der Politologe ist sehr populär im gebildeten, urbanen Bereich, jedoch schwach, wenn es um die Landbevölkerung geht. Dort hat Viktor Orbán wegen seiner Politik und wegen der Macht über die Medien eine fast unschlagbaren Vorsprung.
Auch der Mitarbeiter des Bürgermeisters kennt das Manko. „Hier in Budapest leben wir in einer Bubble. Die Menschen hier haben den antidemokratischen Trend satt. Aber man darf nicht vergessen, dass viele am Land in einer Fidesz-Bubble leben.“
Gergely Karácsony (45)
Der Politikwissenschaftler war als Berater für frühere Regierungen tätig. Bei der Wahl 2018 war er Spitzenkandidat einer Mitte-links-Wahlallianz.
Stadtchef
Der Mann aus Fehérgyarmat im Dreiländereck Ungarn-Ukraine-Rumänien ist seit Oktober 2019 Oberbürgermeister von Budapest.
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