Genozid und Kriegsverbrechen? Zwei Weltgerichte ermitteln gegen Russland

Demonstrantin in Belgrad
Internationaler Gerichtshof und Internationales Strafgericht untersuchen den Ukraine-Krieg. Was sie bewirken können - und was Putin drohen könnte.

Wird in der Ukraine ein Völkermord begangen? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit Montag der Internationale Gerichtshof in Den Haag (International Court of Justice, ICJ), das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Grundlage ist eine Dringlichkeitsklage der Regierung in Kiew, die ein sofortiges Ende der russischen Angriffe fordert.

Konkret wirft Kiew Moskau vor, „Taten von Genozid“ zu planen und „absichtlich Menschen der ukrainischen Nationalität zu töten oder schwer zu verletzen“. Der ICJ, der in Konflikten zwischen einzelnen Staaten angerufen werden kann, solle erklären, dass Russland keine rechtliche Grundlage habe, in und gegen die Ukraine vorzugehen. 

Folgen für Russland?

Am Montag hörten die Richter in Den Haag zunächst die ukrainische Seite an, am Dienstag sollte die russische folgen – der ICJ ermittelt stets in beide Richtungen. Russland, das seine Invasion mit einem unbelegten Vorwurf des Völkermords an Russisch-Stämmigen in der Ukraine begründet, hat seine Teilnahme an der Anhörung allerdings verweigert.

Zu befürchten hat das Land deshalb vorerst nichts – was im Übrigen auch bei einem Entscheid des Gerichts seinen Ungunsten gilt. 

Urteile des ICJ sind zwar bindend, das Gericht hat aber keine Machtmittel, um sie durchzusetzen. Wenn seine Urteile ignoriert werden, kann der ICJ allenfalls den UN-Sicherheitsrat um Unterstützung bitten, in dem fünf Vetomächte das Sagen haben. Eine davon ist Russland.

Persönliche Verantwortung

Neben dem Internationalen Gerichtshof ist auch der Internationale Strafgerichtshof mit dem Krieg in der Ukraine befasst. Der ebenfalls in Den Haag sitzende ICC (International Criminal Court) geht bereits seit 2020 der Frage nach, ob es in der Ukraine ab 2014 Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab. Damals hatte Russland die Krim annektiert, russland-treue Separatisten übernahmen die Macht in zwei Oblasten im Osten.

Vorige Woche entschied der Chefankläger des ICC, Karim Khan, auch die aktuellen Vorkommnisse im Land untersuchen zu wollen.

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Demo gegen den Krieg in Berlin

Anders als der ICJ steht der ICC außerhalb der UNO und ermittelt nicht gegen Staaten, sondern gegen Einzelpersonen – angefangen beim einfachen Soldaten bis hin zu Staatschefs. Demnach könnte der russische Präsident Wladimir Putin durchaus ins Visier des Gerichts geraten, wie es bisher etwa dem verstorbenen libyschen Diktator Gaddafi passiert ist. Immunität als Staatschef hätte der Kremlchef vor dem ICC nicht.

Wer ist zuständig?

Tatsächlich hat der 69-Jährige aber vorerst kaum etwas zu befürchten. Vor Beginn konkreter Ermittlungen muss geklärt sein, ob der ICC überhaupt zuständig ist. Das ist er grundsätzlich nur für Staaten, die das ihm zugrunde liegende Römische Statut ratifiziert haben; Russland und die Ukraine gehören nicht dazu. Kiew hat den ICC zwar ermächtigt, Vorkommnisse auf seinem Staatsgebiet zu untersuchen. Ob das tatsächlich reicht, ist aber laut Völkerrechtsexperten unklar.

Sollte der ICC nicht zuständig sein, wäre noch eine Anklage durch den UN-Sicherheitsrat möglich, wo Russland aber wie bereits erwähnt ein Vetorecht besitzt.

In jedem Fall wäre es äußerst schwer zu beweisen, dass Putin persönlich für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich ist, der Beschuss eines Wohnhauses etwa kein Versehen, sondern angeordnet war.

Dafür bräuchte es Einblicke in Kommandostrukturen und Befehlsketten, bis hinauf zum Kreml. Sollte ein Haftbefehl gegen Putin ausgestellt werden, wäre dieser nur schwer zu exekutieren. Putin festzunehmen, würde den Vertragsstaaten des ICC obliegen, d.h. der Präsident müsste zuerst einmal sein Land verlassen.

Die eingeleiteten Ermittlungen des ICC und auch des ICJ sind für Experten trotz allem nicht sinnlos. Sie hätten eine Signalwirkung an Befehlshaber, keine Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

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