In Russland geistert ein Bild durchs Internet. Es zeigt Wladimir Putin bei den wenigen Auftritten während der Pandemie, bei denen er mit Menschen zu sehen ist. Das Seltsame dabei: Um ihn stehen immer dieselben Personen – wohl Geheimdienstler.
Das Bild ist so inszeniert wie bezeichnend. Seit Beginn der Coronakrise schottet der Kreml-Chef sich ab, ließ andere Staatschefs nur in meterweiter Entfernung Platz nehmen; Mitarbeiter saßen tagelang in Isolation. Seit Putin dem Westen unverhohlen mit Atomwaffen drohte, stellt sich die Frage: Gibt es wen, der ihn vom Äußersten abbringen würde?
Bisher war es Putins innerer Zirkel, der die Agenda des Kreml formte – eine „informelle geschlossene Gesellschaft“, sagt Politikanalyst und Russland-Experte Alexander Dubowy. Dazu gehörten die „Silowiki“ – Männer aus dem Sicherheitsapparat, meist Wegbegleiter aus dem KGB –, Technokraten und Wirtschaftsbosse.
Allein, der Zirkel hat sich verändert, er hat nicht mehr die Macht von einst. Der Beleg dafür: Die Entscheidung, die Ukraine zu überfallen, hat „Putin im Alleingang gefällt“, sagt Dubowy.
Selbst in die Vorbereitungen seien nur wenige involviert gewesen. Einer davon war Ramzan Kadyrow, Putins gefürchteter Handlanger in Tschetschenien, der seine brutalen „Kadyrowzy“ in die Ukraine geschickt hat. „Seit Längerem gibt es immer mehr Indizien dafür, dass das Verhältnis zwischen ihm und Putin vertrauensvoller geworden sei. Auch wird Kadyrow zunehmend zu einer zentralen Figur für das Überleben des russischen Regimes.“
Ein anderer Einflüsterer ist Wiktor Zolotow, einst persönlicher Leibwächter, Judo- und Boxpartner des Kreml-Chefs, jetzt Chef der Nationalgarde, die Putin 2016 als Prätorianergarde ins Leben rief. „Er hatte, als Putin sich zusehends isoliert hat, immer Zugang zu ihm und so großen Einfluss“, sagt Dubowy. Die Männer Zolotows, der für Putin schon in Petersburg Schwarzgeld organisiert haben soll, sind in der Ukraine aktiv – und schlagen die Anti-Putin-Proteste gewaltsam nieder.
Auch Sergej Schoigu steht bedingungslos hinter Putin – sein Verteidigungsminister geht nicht nur zum Jagen und Fischen mit ihm, sondern rechtfertigt und führt auch seine Kriege. Er soll die „Krim-Rückholung“ genauso orchestriert haben wie die Nawalny-Giftattacke – und den Angriff auf die Ukraine.
Er ist auch einer von drei Personen in der Befehlskette eines Atomschlags. Neben Putin selbst müsste Schoigu und der Chef des Generalstabs, Walerij Gerasimow, den Befehl geben. Ob einer der beiden dies verweigern würde? Selbst wenn, wäre das eine beseitigbare Hürde für Putin, sagt Dubowy: „Gerasimow gehört nicht zum engeren Kreis, er kann jederzeit ersetzt werden.“ Letzteres gilt im Zweifelsfall auch für Schoigu. „Das ist letztlich auch das Problem: Nur Putin ist einzig wichtig, alle anderen nicht.“
"Nichts mehr zu verlieren"
Bleibt die Frage, ob ihn jemand aus dem inneren Kreis stürzen würde. Dubowy hält das für unwahrscheinlich: Eine Palastrevolution brauche Vorbereitung, zudem wisse niemand, wem man vertrauen kann – „alle werden von den Geheimdiensten beobachtet“. Dazu fehle der Zugang zu Putin selbst; er sei faktisch völlig isoliert. „Das Entscheidende ist die Loyalität der Sicherheitseliten – also Geheimdienst, Polizei, Nationalgarde und Kadyrowzy. Die ist da, denn die Sicherheitseliten haben nichts mehr zu verlieren.“
Gefährlich werden könnte Putin eine Revolte auf den Straßen, ausgelöst durch soziale Verwerfungen durch die Sanktionen. Keiner in Russland habe mit so starken Strafmaßnahmen gerechnet, vor allem nicht mit dem Rückzug internationaler Konzerne, sagt Dubowy. „Es herrscht Weltuntergangsstimmung. Und das wird die Erosion des Regimes beschleunigen.“
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