Wie sich die Sanktionen auf Russland auswirken: "Sind von der Welt abgeschnitten"
Wie ist die Situation in Russland? Auch diese Frage stellt sich im Zuge der vom russischen Diktator Wladimir Putin befohlenen Invasion in der Ukraine. Der KURIER konnte mit einer Frau telefonieren, die in Moskau mit ihrem Kind lebt und arbeitet – ihren Namen nennen wir aus Sicherheitsgründen nicht.
KURIER: Welche Informationen erhalten Sie über den Krieg in der Ukraine?
In unseren Medien heißt es, dass es sich um eine „Friedensoperation“ handelt. Wir retten unsere Nachbarn vor Nazis, wir sind Helden. Das ist die Botschaft, die im Fernsehen, im Radio, in den Medien kommt. Wenn wir etwas Anderes sagen, müssen wir hohe Geldstrafen zahlen oder kommen ins Gefängnis.
Aber es ist ein Krieg.
Unsere Gesetze sagen, dass wir das Wort Krieg dafür nicht benutzen dürfen. Wenn wir es auf Plakate schreiben, kommt die Polizei. Wenn wir protestieren, und das machen Menschen auch hier in Moskau, werden innerhalb von Minuten Menschen verhaftet. Die Bilder, die kursieren, stimmen. Egal, ob aus Moskau, St. Petersburg oder einer anderen Großstadt. Aber was die Informationen betrifft: Da bin ich sehr skeptisch, auch was die andere Seite betrifft.
Wie geht es Ihnen mit der Situation?
Das ist nicht unser Kampf, nicht der Russlands. Aber das macht keinen Unterschied für die Welt. Wir sehen, was auf uns zukommt. Das schmerzt sehr, wir wollen dieses Leben nicht. Für uns und unser Land bedeutet das das Ende. Wir hatten doch alle große Pläne. Wir sind Kinder des Westens. Und jetzt sind wir von der Welt abgeschnitten. Und wir werden ausgeschlossen bleiben.
Und das muss so hingenommen werden?
Viele Menschen hier verstehen das noch nicht. Viele glauben, dass die Sanktionen aufgehoben werden, weil Europa unser Gas braucht. Ich glaube das nicht. Viele glauben ja noch immer, was in den staatlichen Medien kommt. Für viele passt das sogar. Sie kennen es nicht anders. In den großen Städten vielleicht nicht, aber über das ganze Land sind viele zufrieden, weil sie auch keine Veränderungen mögen.
Ist ein Systemwechsel möglich, wenn die Sanktionen die Menschen in Russland noch stärker treffen und der Druck steigt?
Ich glaube fast nicht. Wenn, wäre das ein schönes Wunder. Und es würde viele Jahre dauern.
Viele europäische Konzerne ziehen sich aus Russland zurück. Ist das spürbar?
Ja. IKEA hat den Mitarbeitern gesagt, sie schließen einmal bis Mai und entscheiden dann, ob sie bleiben. Viele andere werden sicher auch noch gehen. Viele werden ihre Jobs verlieren und kein Einkommen haben.
Wie steht es um Ihren Job?
Ich arbeite im Tourismus. Es werden jetzt Reisen innerhalb Russlands verkauft, weil wir fast nirgends mehr hinkönnen. Aber wenn die Menschen kein Geld mehr haben, werden sie nicht mehr reisen. Ich habe große Angst, meinen Job zu verlieren. Dann werde ich kein Einkommen haben, um meinem Kind eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Irgendwer hat diese Entscheidung getroffen, und unser aller Leben ist ruiniert.
Kommen Sie jetzt noch zu Geld in Moskau?
Ja, kleine Summen sind zu bekommen. Für größere gibt es längere Wartezeiten. Ich kaufe jetzt noch Medikamente ein, die aus dem Westen geliefert werden. Ich fürchte, dass wir die nicht mehr lange bekommen.
Verlassen Menschen das Land, wollen Sie Russland verlassen?
Viele gehen weg, aber ich will nicht weg, meine Eltern leben hier, mein Kind. Und wer hat denn auf der Welt jetzt Verständnis für uns Russen? Die ganze Welt ist gegen uns. Wir können nur hoffen, dass es einen Kollaps gibt und sich das für uns hier ändert. So wie es jetzt ist, ist es auch für uns eine Katastrophe.
Haben Sie Kontakte zu Menschen in der Ukraine?
Ja, zu einigen. Ich habe lange überlegt, aber dann einer Freundin in Kiew zum Geburtstag geschrieben. Sie hat sich sehr gefreut. Aber wir bekommen leider auch Nachrichten, in denen uns der Tod gewünscht wird, dass wir in der Hölle brennen sollen. Wir können doch nichts dafür. Können wir nicht zueinander menschlich bleiben?
Die Moskauerin: Die Gesprächspartnerin des KURIER lebt mit ihrem Kind in der russischen Hauptstadt, die Eltern leben auf dem Land. Sie arbeitet in der Tourismusbranche
Europakontakte: Studienaufenthalte führten sie in europäische Länder, die sie später gerne besuchte, beruflich wie privat. Den Neujahrstag 2022 verbrachte sie traditionell vor dem Fernseher: Sie schaute sich das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker an
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