Geistertanker und Zahlenspiele: Wie Russland die EU-Sanktionen umgeht

Zumindest Wladimir Putins Meinung ist klar. Gar nichts hätten diese Sanktionen gebracht, prahlte der russische Präsident vor wenigen Tagen in St. Petersburg, „außer, dass wir jetzt unsere Geschäfte mit den Märkten der Zukunft ausweiten“.
Elf Pakete mit Sanktionen hat die EU inzwischen verabschiedet, das jüngste erst Ende der Vorwoche. Und gerade dessen Inhalt zeigt auch deutlich die Lücken auf, die Europas Strafmaßnahmen gegen Russland immer noch haben. Von jetzt an will man versuchen, die Lücken zu schließen, durch die Russland immer noch seine wirtschaftlichen Kanäle in die Welt offen hält.
Umgehungsgeschäfte
Das sind vor allem sogenannte Umgehungsgeschäfte, die über Drittstaaten laufen. Hauptrollen spielen dabei Länder wie etwa die Türkei oder Kasachstan – aber natürlich auch deren Partner in der EU. So sind Italiens Exporte in die Türkei zuletzt zweistellig gewachsen – zugleich hat die Türkei bei ihren Russland-Geschäften zugelegt. Noch drastischer sind die Zuwächse bei den Geschäften vieler Europäer mit Kasachstan, dem riesigen erdgasreichen Steppenland in Zentralasien, das mit Russland enge Beziehungen hat.
Dazu kommen die wachsenden Exporte von Öl und Gas aus Russland. Offiziell fließt der Großteil nach China und Indien, doch auch für Putins wichtigste Einnahmequelle gibt es Schleichwege, die auch in westliche Länder führen. Eine „Schattenflotte“ von russischen Tankschiffen ist unter falscher Flagge oder ohne Kennzeichnung auf den Weltmeeren unterwegs. Oft wird die Ware auf hoher See umgeladen und kommt mit quasi neuem Absender an ihr Ziel.
„Putins Propaganda“
„Schlupflöcher, die die EU dringend schließen muss“, meint auch Vladimir Milov, ehemals russischer Vize-Energieminister und heute im politischen Lager des inhaftierten Regimekritikers Alexej Nawalny. Milov hat für das Wilfried Martens Zentrum, einen konservativen Brüsseler Think Tank, eine Studie über die Auswirkungen der Sanktionen erstellt. Die angebliche Erholung der russischen Wirtschaft, die die Moskauer Führung in den Raum stellt, sei schlicht „Putins Propaganda“.
Die allerdings verfängt sehr gut, rund 80 Prozent der europäischen Meinungsmacher, meint man auch im Martens Zentrum, hielten die Sanktionen für weitgehend unwirksam.
Wachstum bei der Industrieproduktion
Was für Putins Version der Geschichte spricht, sind tatsächlich einige wirtschaftliche Kerndaten, die sogar internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds anerkennen. So verzeichnet Russland etwa ein Wachstum bei der Industrieproduktion, eine Inflation von gerade einmal zwei Prozent und geringe Arbeitslosenzahlen.
Für Milov aber ist das nur ein Ausschnitt der wirtschaftlichen Wirklichkeit. Wachsen würde in Russland derzeit nur die Produktion von Waffen und kriegswichtigen Gütern, und das sei keine Grundlage für eine wirtschaftliche Zukunft: „Eine Granate, die sie in der Ukraine abschießen, schafft keinen wirklichen Mehrwert.“ Dem russischen Staat würde auf diese Weise sehr schnell das Geld ausgehen.
Dass sich das nicht sofort bemerkbar mache, etwa durch einen Absturz der russischen Währung, liege vor allem an der wachsenden wirtschaftlichen Isolation Russlands.
Der Staat würde die Kapitalflüsse scharf kontrollieren, meint etwa die Carnegie Stiftung in Washington, seit Langem ein Name für kenntnisreiche Russland-Analysen. So hätten die Sanktionen „paradoxerweise die Festung Russland gestärkt“. Das allerdings sei ein kurzfristiger Effekt, langfristig würde die Blockade die russische Wirtschaft nicht nur schwächen, sondern ihr auch jegliche Zukunftsaussichten rauben. Übrig bleibe eine Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten und zugleich vom wichtigsten Abnehmer: China. Das habe immer mehr eine Quasi-Monopolstellung in dem für Putins System überlebenswichtigen Wirtschaftszweig.
Diktat aus China
Damit aber könne Peking nicht nur die Preise diktieren, sondern auch die Spielregeln bei fast allen Beziehungen mit Moskau. Investitionen in andere Wirtschaftszweige in Russland, die dem Land so sehr fehlen, kämen auch aus Peking keine. Eine auf Dauer tödliche Umarmung für die russische Wirtschaft, wie auch das amerikanische Wall Street Journal feststellt: „Die russische Wirtschaft hat gerade erst begonnen auseinanderzubrechen.“
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