Geht die englische Pub-Sperrstunde nach hinten los?
Kurz nach 22 Uhr am ersten Samstag nach der neuen Corona-Sperrstunde in England: In Liverpools Innenstadt feierten dutzende Jugendliche, eng beisammen, singend und tanzend weiter. In York grölte eine Menge junger Menschen an einer Straßenecke
Mr. Brightside von der Band The Killers. In Manchester und London drängten sich Nachtschwärmer in Supermärkten, um an mehr Bier zu kommen.
Auch auf der Hauptstraße von Stevenage, nördlich von London, kam es zu einem Auflauf. „So viel war nachts noch nie los,“ sagt Caroline, die Managerin des Pubs Old Town.
Im Corona-Zeitalter haben Videos mit solchen Szenen aus größeren Städten, oft von jungen Leuten ohne Maske und soziale Distanzierung, eine Diskussion über die seit 24. September geltende Sperrstunde für Pubs, Bars und Restaurants entfacht.
“Ich glaube nicht, dass sie mit COVID hilft,“ sagt Caroline. “Wir halten Leute im Pub distanziert, und dann gehen alle gleichzeitig.“ Liverpools Bürgermeister sagt, die Sperrstunde mache in puncto Corona „einfach alles noch schlimmer.“ Sein Kollege in Greater Manchester glaubt, „sie schadet mehr als sie nützt.“
Kritik im Parlament
Auch im Parlament hagelte es Kritik von Vertretern verschiedener Parteien. Manche rufen nach Abschaffung der neuen Sperrstunde. Andere schlagen eine Staffelung vor, um Leute in Wellen abziehen zu lassen. Manche wollen auch Lebensmittelläden, oder zumindest den Alkoholverkauf dort, mit einschließen. Boris Johnsons Regierung sagt bisher lediglich, dass alle Corona-Maßnahmen laufend überprüft werden.
Thomas Thurnell-Read, Senior Lecturer für Soziologie an der Loughborough Universität, sagt dem KURIER, dass Chaos an Wochenenden absehbar war. “Die britische Kultur des Trinkens als soziale Hauptaktivität ist noch immer stark verankert,“ erklärt er.
Die Sperrstunde stoppt frühzeitig „das Ritual der Partynacht, und Leute machen weiter. In anderen europäischen Ländern ist Alkoholverkauf strenger reguliert.“ Aber in vielen britischen Stadtzentren gibt es gleich neben Bars Supermärkte mit billigem Bier. Vertreter des Gastgewerbes warnen, dass die Sperrstunde den von Corona geschüttelten Sektor finanziell weiter unter Druck setzt. Der Umsatz im Gastgewerbe fällt weiterhin stark.
Doppelte Arbeit
„Ich habe ohnehin nur mehr Platz für 25 Leute, halb so viele“ wie vor Corona, sagt Caroline. “Die Rechnungen bleiben gleich, aber man nimmt nur die Hälfte ein und macht die doppelte Arbeit. Die Sperrstunde kostet mich noch mehr Geld, weil ich zehn Stunden Geschäft pro Woche verliere.“ Sie ist dankbar über Stammkunden wie Nikki. „Ich würde ohne Pub das Gemeinschaftsgefühl vermissen,“ sagt sie zum KURIER.
Laut einer Umfrage fürchteten bereits vor der neuen Sperrstunde 23 Prozente aller Gastbetriebe, bis Jahresende zusperren zu müssen, wenn die Regierung kein neues Hilfspaket für sie schnürt. „Ich muss in aller Offenheit sagen, dass es bis Weihnachten weiterhin unruhig sein wird, vielleicht sogar darüber hinaus“, traf Premier Boris Johnson am Sonntag eine düstere Prognose.
Caroline sagt, Corona bedrohe aber nicht nur die Finanzen, sondern auch die Grundidee des Pubs. „Im Pub geht es darum, gesellig zu sein,“ erklärt sie. „Die Krise hat das einfach zerstört.“
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