Bei der Parlamentswahl an den kommenden beiden Sonntagen könnte die Linke des Populisten Jean-Luc Mélenchon vorne liegen – und den Premiers-Anspruch stellen
09.06.22, 19:00
Nach der Wiederwahl Emmanuel Macrons zum französischen Präsidenten im April hat er Elisabeth Borne zur neuen Premierministerin ernannt und eine Regierung eingesetzt. Ob die Minister im Amt bleiben können, wird sich allerdings erst bei den Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen entscheiden. Von ihrem Ausgang hängt auch ab, ob Macron sein Programm wie geplant durchsetzen kann. Sollte eine oppositionelle Partei die Mehrheit in der Nationalversammlung gewinnen, würde das deutlich komplizierter für ihn. In diesem Fall könnte das gegnerische Lager den Premierminister stellen, mit dem Macron in einer sogenannten „Kohabitation“ regieren müsste.
Die einzige politische Formation, der dies gelingen kann, ist das Bündnis Nupes für „Neue ökologische und soziale Volksunion“, das die linksradikale Partei La France Insoumise („Unbeugsames Frankreich“), kurz LFI, mit den Sozialisten, den Grünen und den Kommunisten geschmiedet hat. Sie teilten die Wahlkreise untereinander auf, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen, und einigten sich auf ein Programm.
Hauptforderungen sind ein monatlicher Mindestlohn von 1500 Euro (gegenüber aktuell rund 1300 netto), die Rente ab 60 Jahren (statt derzeit 62) und die Deckelung der Preise von Benzin und bestimmten Produkten des täglichen Bedarfs.
Besonders für Aufsehen sorgte, dass Nupes für „europäischen Ungehorsam“ gegenüber manchen EU-Richtlinien, vor allem hinsichtlich der Finanz- und Schuldenregeln, eintritt. Dies entspricht der Linie des EU-Kritikers und LFI-Chefs Jean-Luc Mélenchon. Seit er bei der Präsidentschaftswahl mit 22 Prozent in der ersten Runde nur knapp die Stichwahl verpasste, hat er sich als Führungsfigur der Linken durchgesetzt. Das Nupes-Bündnis vereinbarte, ihn im Falle eines Siegs zum Premierminister zu machen. Dazu wäre Macron zwar nicht verpflichtet, doch würde er es verweigern, könnte das Parlament der Regierung das Misstrauen aussprechen.
In jedem Fall kämen auf Frankreich stürmische Zeiten zu. Meinungsforschern zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, gering, aber nicht ausgeschlossen. Um ihre Basis zu erweitern, hat sich auch Macrons Partei La République en marche („Die Republik in Bewegung“), die 2017 eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichte, mit der pro-europäischen Zentrums-Partei MoDem (Mouvement Démocrate) sowie den liberalen Bewegungen Agir („Handeln“) und Horizons („Horizonte“) zusammengeschlossen. Laut Umfragen liegen das Mitte-Bündnis und Nupes mit 27 bis 28 Prozent gleichauf.
Republikaner stürzen ab
Die konservativen Republikaner, die bei der Präsidentschaftswahl mit 4,8 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis einfuhren, stellen sich darauf ein, mindestens die Hälfte ihrer aktuell rund 100 Mandate zu verlieren. Der rechtsextreme Rassemblement National kann mit rund 20 Prozent in der ersten Runde rechnen, doch dürfte man im zweiten Wahlgang mangels Bündnispartnern und lokaler Verankerung höchstens 40 Sitze im Parlament erobern.
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