Fünf Jahre Referendum: Warum der Brexit die Briten immer noch spaltet
Wenn in Gesprächen das Thema Brexit aufkommt, lenken Briten gerne mit dem Wetter, Tee oder Fußball ab. Denn auch fast sechs Monate nach dem endgültigen EU-Abschied bleibt der ein heikles Thema. Die Brexit-Befürworter gewannen das Referendum, das sich am Mittwoch zum fünften Mal jährt, knapp mit 52 Prozent. Heute halten das laut einer Umfrage 44 Prozent für gut, 42 Prozent für schlecht.
„Das Land wirkt immer noch gespalten“, diagnostiziert der Politologe John Curtice von der Strathclyde Universität. Vielleicht plant Premier Boris Johnson darum laut Medien, den Jahrestag nicht an die große Glocke zu hängen, auch wenn er gerne das Corona-Impfprogramm als Brexit-Erfolg feiert.
Wirtschaftlich sieht die Bilanz nach dem Binnenmarkt-Abgang zum Jahreswechsel weniger gut aus. So fiel das Handelsvolumen mit der EU im ersten Quartal gegenüber der letzten stabilen Vergleichsperiode um 23,1 Prozent. Experten gaben der Pandemie, die Brexiteers gerne hauptverantwortlich machen, und neuen Formalitäten im Brexit-Deal die Schuld. Lebensmittelexporte in die EU sackten um 55 Prozent ab; ein „Desaster“, so ein Branchenverband.
Von Johnson versprochene Handelsverträge mit den USA und China lassen noch auf sich warten. Ein kürzlich erzielter Deal mit Australien soll das BIP um 0,02 Prozent heben. Ein Experte warnte aber, sogar das basiere auf „heroischen Annahmen“.
An Pubs mehren sich unterdessen „help wanted“-Schilder, weil der Gastronomie wegen Brexit und Pandemie geschätzte 188.000 Angestellte fehlen. Der Chef der Pub-Kette JD Wetherspoon, ein Brexit-Fan, machte mit dem Ruf nach einem neuen Visa-System für EU-Leute Schlagzeilen.
Streitfall Nordirland
Einen Stammplatz in diesen hat wegen leerer Supermarkt-Regale das Nordirland-Protokoll, das Kontrollen bei Lieferungen zwischen der Provinz und dem Rest des Landes regelt. Dass London deshalb manche davon einseitig ausgesetzt hat und Brüssel, mit Blick auf britische Wähler, Paragrafenreiter nennt, erzürnt die EU, die rechtliche Schritte eingeleitet hat. Nun hofft London auf einen Aufschub von ab Juli geplanten Fleischwaren-Kontrollen, um einen „Würstelkrieg“ zu vermeiden.
Auch alte Spannungen in Nordirland hat Brexit neu entflammt. Mit Ausschreitungen machten sich zu Ostern oft junge Protestanten Luft, die sich vom Rest des Landes abgeschnitten fühlen.
Auch in Schottland steht die Einheit Großbritanniens unter Druck. Regierungschefin Nicola Sturgeon verpasste im Mai eine absolute Mehrheit im Regionalparlament, hat diese aber mit den Grünen. Sie will ein zweites Referendum über die Abspaltung Schottlands, wo eine Mehrheit gegen Brexit war, ins Visier nehmen.
Antrags-Rückstau
Schon jetzt warnen Experten vor Problemen für hunderttausende EU-Bürger, die in Großbritannien leben, aber eine Frist Ende Juni für Anträge, die in etwa die gleichen Rechte wie vor Brexit sichern, verpassen. Ein Antrags-Rückstau könnte auch Wartenden Kopfschmerzen bei Wohnungssuche, Kontoeröffnung und im Gesundheitssystem machen.
Laut Medien droht sogar ein Kulturkrieg, weil die EU britische Filme und Serien, wie Netflix-Hit „The Crown“, von europäischen Programm-Quoten im TV- und Streaming-Bereich ausnehmen will.
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