Frankreich wählt: Le Pens Hochburg der Hoffnungslosigkeit
aus Chauny von Simone Weiler
Ein einziges Wahlplakat hängt verwaist am Parkplatz vor dem Bahnhof von Chauny. Es zeigt eine lachende Marine Le Pen und daneben den Slogan: "Den Franzosen ihr Land zurückgeben." Das Plakat von Präsident Emmanuel Macron, den Le Pen in der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl am 24. April herausfordert, muss jemand heruntergerissen haben. Oder es wurde gar nicht erst aufgehängt. Vielleicht, weil es sich in dem knapp 12.000-Einwohner-Städtchen ohnehin nicht lohnen würde, für Macron zu werben?
Rechte Hochburg
Das Département Aisne, in dem Chauny liegt, gehört seit Jahren zu Le Pens Hochburgen, so wie der gesamte Nordosten des Landes. Die Region ist ländlich geprägt, durchzogen von kleinen Städten und Gemeinden. Einst fest in der Hand der Kommunisten, erzielen hier seit einigen Jahren die Rechtsextremen Spitzenergebnisse: In der ersten Runde am 10. April wählten 39 Prozent der Bewohner des Départements Aisne Le Pen, während 22 Prozent für Macron stimmten.
In Chauny bekam die Rechtspopulistin 37 Prozent. Gleichzeitig ging jedoch mehr als jeder dritte Wahlberechtigte gar nicht zur Wahl.
Er habe kein Problem zu sagen, dass er Le Pen seine Stimme gegeben hat, sagt ein junger Mann, der vor der Post steht und von seinem Handy aufblickt. Der 19-Jährige wählte heuer zum ersten Mal: "Ich glaube, dass es uns mit ihr besser gehen wird. Sie tut mehr für unsere Kaufkraft. Und sie ist für die Franzosen. Macron ist für alle." Die Aufgabe des Präsidenten sei es doch, die Nation zu schützen. Macron gehe es um Europa.
Meinungsforschern zufolge neigen die Bewohner von Metropolen eher Macron zu und die Menschen im ländlichen Raum zu Le Pen. Dort, wo Krankenhäuser und Schulen schließen, hofft man auf die Rechtspopulistin, die sich als Anwältin der "kleinen Leute" gibt. Während Macron überwiegend von Menschen mit guter Ausbildung und höherem Einkommen, von Selbstständigen und Rentnern gewählt wird, hat Le Pen ihre treusten Anhänger unter den einfacheren Arbeitern und den Arbeitslosen. Davon gibt es viele in Chauny.
Dass es sich um eine einstmals stolze Industriestadt am Flüsschen Oise handelte, davon zeugen noch immer die mächtigen Backsteinbauten in der Innenstadt, die reichhaltig bepflanzt und begrünt ist. Doch etliche Firmen der hier einst so starken Metall- und Chemieindustrie haben in den vergangenen Jahrzehnten dichtgemacht. Innerhalb von 20 Jahren verlor Chauny sieben Prozent seiner Einwohner. Mit 12,3 Prozent gehört die Arbeitslosenquote zu den höchsten des Landes.
Politikverdrossenheit
Zur Mittagszeit ist das Lokal "La Rotonde" am Rathausplatz gut besetzt. Das gleichnamige Lokal im eineinhalb Autostunden entfernten Paris ist ein gehobenes Restaurant, in dem Emmanuel Macron am Abend der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2017 seinen vorläufigen Sieg feierte. Das wurde ihm damals zum Vorwurf gemacht.
"La Rotonde" in Chauny hingegen ist ein einfacher Tabakladen, in dem Menschen auch Lotto spielen oder einen Espresso an der Bar trinken. Auf der Menükarte stehen Schweinefilet oder Spaghetti Carbonara für 9,90 Euro, zum Dessert gibt es Obstsalat oder Mousse au Chocolat.
Doch Sylvie, Catherine und Georges essen nichts, Catherine und Georges bestellen sich gerade ein zweites Bier, Sylvie noch einen Café au lait. Sie reden über Gott und die Welt, eigentlich ist es vor allem Georges, der redet. Die Präsidentschaftswahlen sind kein Thema. Ob sie abgestimmt hätten? Alle drei verziehen das Gesicht und schütteln den Kopf. "Wenn Jean-Marie Le Pen angetreten wäre, dann hätte ich ihn gewählt", tönt Georges. "Aber seiner Tochter fehlt es an Biss. Es gibt zu viele Ausländer, die unsere Jobs für weniger Geld machen." Sie habe einen leeren Stimmzettel abgegeben, sagt Sylvie. Diese werden in Frankreich zwar nicht gezählt, aber sie wollte auf diese Weise signalisieren, dass sie mit keinem Kandidaten und keinem Programm einverstanden ist.
"Eigentlich macht es eh keinen Unterschied. Die sind doch alle gleich. Und sie stecken sich die Taschen voll, ohne etwas für die Leute zu tun."
Eine Haltestelle mit dem Regionalzug weiter liegt Tergnier. Hier erhielt Marine Le Pen in der ersten Wahlrunde sogar 43 Prozent. Die Häuser sind flacher, ein riesiges Eisenbahnkreuz verläuft quer durch den Ort. Viele Vitrinen einstiger Geschäfte sind abgedeckt, oft hängt ein Schild davor mit der Aufschrift "Zu verkaufen". Es gibt wenige Restaurants, dafür mehrere Döner-Läden.
Unterstützung von oben
Nach dem Ergebnis der Präsidentschaftswahl befragt, setzt die junge Verkäuferin der Bäckerei "La Bakery" ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. Eigentlich interessiere sie sich nicht für Politik. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt sei nicht unbedingt so hoch, weil es keine Jobs gebe, "in Frankreich bekommt man viel staatliche Unterstützung", sagt sie. "Wenn Sie mehrere Kinder haben, müssen Sie nicht unbedingt arbeiten für ein gutes Einkommen."
Um der hohen Jugendarbeitslosigkeit in der Region zu begegnen, hat der Bürgermeister Michel Carreau 2006 das "Haus der Arbeit und der Ausbildung" gegründet, um junge Leute in Jobs zu vermitteln. "Unsere Entscheidung ist es, zu handeln, anstatt eine Situation zu erleiden", so Carreau. In einem "komplexen wirtschaftlichen Kontext" sei es umso wichtiger, pragmatisch zu sein. Carreau ist Kommunist – und doch klingen die Worte wie aus Macrons Mund.
Ein Rentner steht mit seinem Fahrrad an einer Baustelle hinter dem Rathaus und sieht den Arbeitern zu. Er habe für Macron gestimmt, sagt er. Viele hier wählten rechtsextrem, aber zum Glück entspreche das Ergebnis von Chauny nicht dem im ganzen Land.
"Macron wird durchkommen", sagt er schmunzelnd. Langsam schiebt er sein Rad weiter.
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