Der hohe Preis der Pensionsreform: Macron in der Sackgasse
Die Regierung überstand nur knapp das Misstrauensvotum. Jetzt will der Präsident die aufgebrachte Bevölkerung mit einer TV-Rede beruhigen.
22.03.23, 05:00
aus Paris Simone Weiler
Sicherheitskräfte verfolgten mit Steinen werfende Männer, versuchten, sie einzukreisen, zückten die Schlagstöcke. Auf den Gehsteigen brannte der Müll. Barrikaden aus Kartons und Styropor versperrten Straßeneingänge.
In der Nacht auf Dienstag entlud sich die geballte Wut der Protestierer über die Regierung und Präsident Emmanuel Macron – nicht nur in der französischen Hauptstadt, sondern auch in Straßburg, Nantes, Lyon und Marseille. Die Bilanz: 287 Festnahmen, überwiegend leichte Beschädigungen am Stadtmobiliar und Beunruhigung darüber, wie sich die Lage weiterentwickeln wird.
Frankreich steckt in einer politischen wie sozialen Krise.
Groß ist die Empörung darüber, dass die Regierung vergangenen Donnerstag ihre umstrittene Pensionsreform ohne finale Abstimmung in der Nationalversammlung durchdrückte. Das Risiko einer Ablehnung wollte Macron nicht eingehen. Die Reform sieht die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vor, gekoppelt mit 43 statt wie bisher 42 vollen Beitragsjahren für eine Pension ohne Abschläge. Kritikern zufolge werden damit vor allem Menschen benachteiligt, die früh ins Berufsleben eingestiegen sind.
Als Folge gingen zwei Misstrauensanträge gegen Premierministerin Élisabeth Borne ein, die sie am Montag zwar überstand, allerdings deutlich knapper als erwartet. 278 Abgeordnete der Opposition votierten für einen Antrag der liberalen Liot-Fraktion. Damit fehlten nur neun Stimmen zum Sturz von Borne. Die Ohrfeige, die die Premierministerin einsteckte, galt eigentlich dem Präsidenten.
Einer gegen (fast) alle
"Borne ist transparent", sagte der sozialistische Abgeordnete Boris Vallaud. "Wen sieht man hinter ihr? Macron."
Der 45-Jährige hat durch seinen autoritären Regierungsstil und die Missachtung des Parlaments fast alle gegen sich aufgebracht: die Opposition, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung und die Gewerkschaften, die acht große Streik- und Protesttage organisiert haben. Der neunte steht am morgigen Donnerstag an. Die Gegner der Reform setzen auf eine Entscheidung des Verfassungsrates, der das Gesetz prüfen muss, bevor es verkündet wird. Derweil droht Benzinknappheit durch andauernde Streiks in Raffinerien und Öl-Depots.
Dass Macron nach einem monatelangen Machtkampf noch nachgibt und sein Gesetz zurückzieht, ist unwahrscheinlich. Er stünde als schwacher Präsident da, der nicht einmal eine im internationalen Vergleich moderate Reform durchbringt, während die französischen Staatsschulden zu Jahresbeginn die Rekordmarke von mehr als drei Billionen Euro überschritten haben.
Viele Optionen bleiben ihm nicht: Eine Regierungsumbildung würde wenig ändern – sein Kabinett setzt lediglich die von ihm vorgegebene Politik um. Dasselbe gilt für die mögliche Absetzung von Élisabeth Borne. Bleibt nur die Schadensbegrenzung: Am heutigen Mittwoch um 13 Uhr gibt Macron eine Fernsehansprache. Kritiker sehen darin den nächsten Fauxpas, denn diejenigen, die seine Reform vor allem betrifft, arbeiten um diese Uhrzeit. Dass er den richtigen Ton trifft, um die Lage zu beruhigen, scheint so gut wie ausgeschlossen.
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