Frankreich: Die "Gelbwesten" lassen Paris brennen
So etwas hat keine europäische Großstadt seit dem Ende des Weltkriegs mehr erlebt: eine Orgie an Brandlegungen und Plünderungen auf zahllosen Prunkstraßen des Pariser Zentrums. Gegen Samstag-Abend schien die Polizei weitgehend hilflos um den hunderten, in kleinen Gruppen aufgeteilten Aufrührern Herr zu werden.
Kaum gelang es einem Polizeitrupp eine Gruppe von Brandstiftern und Plünderern zurückzudrängen, wurde auch schon an einem weiteren Platz wiederum Feuer gelegt. Autos, Motorräder, Verkehrsampeln, Bäume wurden in den Straßen und Gassen rund um die Champs-Elysée systematisch angezündet, Barrikaden mit Material aus Baustellen errichtet, die Fassaden von Geschäften, Restaurants und Banken zertrümmert, Waren und Einrichtungsgegenstände weggeschleppt.
Immer wieder mussten die Polizeitruppen sogar vor den Angriffen der Aufrührer zurückweichen. Diese stürzten sich urplötzlich mit Stahlruten, Hacken und Baumaterial auf die Polizisten. Dabei hatte die Behörden mit 5000 Mann das größte Polizei-Kontingent seit den Unruhen vom Mai 1968 aufgeboten. Aber die Beamten waren mit ihrer schweren Ausrüstung (Schutzkleidung, Helme, Gasmasken, Granatwerfer) bei weitem nicht so mobil wie die meistens jüngeren Aufrührer, die ihrerseits mit Helmen und Gasmasken angerückt waren.
Obendrein waren die Polizisten zunehmend erschöpft, weil sie schon seit den Morgenstunden des Samstags quasi pausenlos Angriffen Stand halten mussten. Da hatte alles begonnen: vorgesehen war eine angemeldete Demonstration der „Gelbwesten“ auf der Pariser Pracht-Avenue der Champs-Elysees. Diese lose, auf Facebook entstandene Bewegung hauptsächlich von Pendlern aus den Speckgürteln und Provinzstädten war seit zwei Wochen mit landesweiten Straßenblockaden gegen die erhöhten Gebühren auf Sprit Sturm gelaufen. Aber bereits ihr Aufmarsch auf den Champs-Elysees, am vorhergehenden Samstag, war in Straßenschlachten und Plünderungen ausgeartet. Der Grund: bei der Demo in Paris hatten sich Angehörige ultrarechter und in geringerem Ausmaß auch ultralinker Gruppen mit den „Gelbwesten“ vermengt, in den Abendstunden waren auch junge Vorstädter dazu gestoßen.
Trotzdem war die Demonstration der „ Gelbwesten“ auf den Champs-Elysees neuerlich von den Behörden genehmigt worden, die Prunkstraße wurde aber wie eine Fan-Zone von Polizei-Kordons abgeriegelt. Alle Personen, die hinein wollten, wurden gefilzt. Dadurch blieben die Champs-Elysee auch tatsächlich von der Gewaltorgie verschont.
Aber diejenigen, die sich nicht durchsuchen lassen wollten, meistens weil sie Wurfgeschoße mit sich trugen, versuchten gleich in der Früh die Polizeisperren im Sturm zu durchbrechen. Weil ihnen dies nicht gelang, stauten sie sich auf dem Platz vor den Champs-Elysées, wo sie zuerst eine Art Siegesfeier unter dem Triumphbogen, beim Grab des unbekannten Soldaten, absolvierten – also genau dort, wo Macron noch vor drei Wochen 70 Staatsmänner anlässlich eines Friedensgipfels versammelt hatte.
Dadurch wurde der Platz um den Triumphbogen anschließend Schauplatz immer neuer Zusammenstöße: auf die Attacken von „Gelbwesten“ und ihrer radikalen Helfer reagierte die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengasgranaten und Hartgummi-Geschossen. Und damit kam das Unheil ins Rollen, als die Abgedrängten in den umliegenden Straßen mit ihrem Zerstörungswerk begannen und dabei von der Polizei nicht mehr in Schach gehalten werden konnten.
Wie zugespitzt die Lage inzwischen ist, lässt sich an folgendem ermessen: Auch bei den „Gelbwesten“, die nicht an den Unruhen in Paris beteiligt waren, wurden diese zumindest in einer ersten Phase nicht durchwegs verurteilt. „Recht geschehen für die Reichen in Paris“, und „eine Revolution kann nicht ohne Gewalt auskommen“ – solche Sprüche konnte man bei einigen der Blockade-Aktionen hören, die an Autobahn-Zubringern, vor Einkaufszentren, Treibstoffdepots und Flughäfen ebenfalls gestern in mehreren Landesteilen stattfanden.
Mit den Exzessen von heute in Paris hat sich die Lage aber fundamental geändert. Der Staatsführung um Präsident Emmanuel Macron kann das unglaubliche Ausarten der Lage in Paris als schweres Versagen in Sachen Sicherheitspolitik angelastet werden. Andererseits könnte unter dem Eindruck dieser Ereignisse die Bewegung der „Gelbwesten“ einen erheblichen Teil ihrer bisherigen sehr breiten Popularität einbüßen
Reaktion von Macron
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Krawalle während der "Gelbwesten"-Proteste in Paris scharf verurteilt. "Ich werde immer Protest akzeptieren, ich werde immer der Opposition zuhören, aber ich werde nie Gewalt akzeptieren", sagte er am Samstag während einer Rede beim G-20-Gipfel in Buenos Aires. Nichts rechtfertige Angriffe auf die Polizei, Plünderung oder Vandalismus.
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