Flugzeugabschuss "war der Tschernobyl-Moment des Iran"
Am 21. Februar wählen die Iraner ein neues Parlament - dies vor dem Hintergrund der schlechten sozialen Lage, der Kraftprobe mit den USA und natürlich des Flugzeugcrashs, der eine Blamage für das Mullah-Regime ist.
Die Machtstruktur im Iran ist komplex. Es gibt zwar das Parlament und den Präsidenten, beide demokratisch gewählt. Allerdings müssen Gesetze von einem sogenannten Wächterrat bestätigt werden, und in diesem üben Geistliche großen Einfluss aus. An der Spitze des Staates steht der religiöse Führer. Seit mehr als 30 Jahren: Ayatollah Ali Khamenei.
In der iranischen Politik konkurrieren Gemäßigte, Konservative und Hardliner. „Leider hat die US-Strategie des ‚Maximum Pressure‘ die iranische Politik in Richtung der Hardliner bewegt, weil auf der einen Seite die Gemäßigten an Glaubwürdigkeit und dadurch an Einfluss verloren haben und auf der anderen Seite die Konfrontationsstrategie der Hardliner in den Vordergrund trat“, sagt Bijan Khajehpour, Iran-Analyst und Geschäftsführer der Wiener Unternehmensberatung Eunepa, zum KURIER.
Niedrige Wahlbeteiligung
Auch wegen der mageren wirtschaftlichen Entwicklung sind viele Gemäßigte vom moderaten Präsidenten Hassan Rohani enttäuscht. So dürften die Konservativen ihre Macht im Parlament bei den kommenden Wahlen ausbauen.
Das Parlament hat aber ohnehin nur eingeschränkte Mitsprache, vor den Wahlen muss der Wächterrat die Kandidaten genehmigen. Viele pragmatische Politiker würden im Februar entweder nicht mehr kandidieren oder seien von dem 12-köpfigen Wächterrat abgelehnt worden, erklärt Experte Khajehpour. Auch führende Konservative seien abgelehnt worden, was eine Orientierung der Führung in Richtung Hardliner beweise. Zu rechnen sei mit einer niedrigen Wahlbeteiligung, was den Konservativen und Hardlinern unter den Kandidaten zugute kommt.
Das mächtigste Amt im Iran hat seit der Islamischen Revolution von 1979 nicht der Präsident, sondern der religiöse „Oberste Führer“ inne. Ali Khamenei ist als höchster Geistlicher auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und besetzt die Schaltstellen in der Justiz. Auch Präsident Rohani braucht bei weitreichenden Entscheidungen stets den Segen von Khamenei.
Seit 1979 gab es nur zwei Staatsoberhäupter: Dem legendären Revolutionsführer Ruhollah Khomeini folgte im Jahr 1989 Khamenei. Ein sogenannter Expertenrat aus 86 hochrangigen Geistlichen ernennt den religiösen Führer, spätestens nach Khameneis Tod werden sie sich in einem undurchschaubaren Prozedere auf einen Nachfolger einigen müssen.
Vetternwirtschaft
Das Machtgefüge im Iran ist für Außenstehende auch sonst schwer nachvollziehbar. „Machtpolitisch wird der Iran von verschiedenen Netzwerken kontrolliert, die ständig entweder konkurrieren oder zusammenarbeiten, um gewisse Ziele zu erreichen“, sagt der Insider Khajehpour. „Parlamentsabgeordnete und Regierungsangehörige sind wichtige Bestandteile dieser Netzwerke, daher spielen diese Organe schon eine Rolle, aber eben innerhalb der Netzwerke, die zum Teil auch sehr korrupt sind.“Im Frühjahr 2021 stehen die Präsidentschaftswahlen an, Rohani darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut als Präsident kandidieren. Es wird wohl wieder zu einem Machtkampf zwischen Gemäßigten und Hardlinern kommen.
Khajehpour hält bis dahin noch viel für möglich. Sollten die Proteste stärker werden, könnte sich die politische Szene zu Reformpolitikern öffnen. Umgekehrt sei auch eine Militärdiktatur unter Kontrolle der Revolutionsgarden nicht auszuschließen.
"Inkompetenz"
Der Flugzeugabschuss, den das Regime nach tagelangem Leugnen zugeben musste, hat laut Khajehpour deutliche Spuren hinterlassen. „Ich muss sagen, dass der neueste Vorfall – die Lügen um die Ursache des Absturzes der ukrainischen Maschine – das öffentliche Vertrauen in den Staat auf ein Minimum reduziert hat.“ Das sei „der Tschernobyl-Moment der Islamischen Republik“ gewesen, „das heißt, ein Beweis der Inkompetenz“. (Hintergrund: Der Nuklearunfall von Tschernobyl im Frühjahr 1986 hatte für die Sowjetunion auch eine Image-Katastrophe mit sich gebracht.)
„Was das bedeutet, müssen wir noch abwarten“, sagt Bijan Khajehpour, „aber ich bin der Meinung, dass ohne tiefgreifende strukturelle Reform, vor allem ohne politische Freiheiten und eine wirtschaftliche Verbesserung, die Bereitschaft zu intensiven Protesten steigen wird.“
Favorit in Stellung
Über die Nachfolge des betagten, angeblich schwer erkrankten Ayatollahs Khamenei wird seit Jahren spekuliert. Einige potenzielle Nachfolger wie den früheren Obersten Richter Mahmoud Hashemi Shahrudi hat der 80-Jährige schon überlebt. Immer wieder genannt wird der Jurist Ebrahim Raisi, mittlerweile ebenfalls Oberster Richter des Landes. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 kam der Hardliner auf 38 Prozent der Stimmen und verlor gegen Rohani. Trotzdem soll er Khameneis uneingeschränktes Vertrauen haben.
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