Zehn Jahre mussten sie warten, erzählt der Inhaber eines Friseursalons, der im Laden gerade von der Leiter klettert. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn, er wirkt gestresst, hinter der Maske zeichnet sich aber ein Lächeln ab. Sie freuen sich, endlich aufsperren zu können. Nachsatz: „Die Geschichte kennen Sie ja.“
Im Mai 2010 wurde das Richtfest für den BER gefeiert, ein Jahr später sollte die Eröffnung stattfinden. Geschäfte und Lokale waren fertig eingerichtet, die Einladungen schon verschickt – plötzlich die Hiobsbotschaft: Alles abgesagt. Was folgte, lieferte Stoff für Witzesammlungen, Bücher, Reportagen und Dokus mit Titel wie „Fluchhafen“ oder „Milliardengrab“.
Zu den größten Problemen gehörte damals der Brandschutz, und es gab auch andere Mängel. Von Türen, die nicht auf- und zu gehen wollten, über zu kurz geratene Rolltreppen bis zum Kabelsalat in der Decke – alles wurde neu geplant und gelegt. Dazu kamen Polit-Hickhack, Korruption und sechs Eröffnungstermine, die verstrichen.
Drei Flughafenchefs, alles gut bezahlte Manager, warfen das Handtuch. Der vierte Mann, der den BER jetzt wirklich eröffnet, heißt Engelbert Lütke Daldrup. Der 64-jährige Stadtplaner kam 2017 zum BER, den er gut kannte. Als Aufsichtsrat sah er, was alles schief lief. Der Mann ist einer, der Dinge nüchtern sieht und sich auch so ausdrückt. Er wolle der Peinlichkeit ein Ende bereiten, sagte er einmal während eines Rundgangs mit Journalisten.
Stunden vor der Eröffnung sitzt er in einem der Lounge-Bereiche, den Blick konzentriert aufs Handy gerichtet. Sollte er eine der unzähligen Best-of-BER-Pannen-Geschichten lesen oder einen Kommentar über die künftigen Zahlungsengpässe, lässt er es sich nicht anmerken. Gefragt, wie es ihm geht, spricht er von „Anspannung und Freude“. Man sei sehr gut vorbereitet, „jetzt sind alle ganz heiß auf die Eröffnung“, sagt er in einem Ton, der nicht unbedingt nach Party klingt.
Und so kommt es auch. Wer eine Dom Pérignon-Dusche erwartete, wurde enttäuscht. „Wir machen einfach auf“, sagt Lütke Daldrup am Samstag bei der Pressekonferenz. Es sei kein historischer Tag, sagt er mit Blick auf die Genese des Flughafens. „Aber es ist für uns, für Berlin und Brandenburg, für Ostdeutschland ein ganz wichtiger Tag.“
An dem letztlich 50 geladene Gäste, Reporter und Fotografen durch die Abflughalle ziehen. Fast etwas langweilig, wären da nicht Klimaaktivisten, die sich draußen vom Dach des Gebäudes abseilen und drinnen am Boden sitzend skandieren. Dazwischen wandern erste Besucher zwischen einer offenen Bäckerei und noch geschlossenen Geschäften umher.
„Schlicht und einfach“ ist es geworden, stellt die Berlinerin Renate fest. Ein bissschen erinnert es sie an einen Busbahnhof, aber viel habe sie ja noch nicht gesehen. Ein anderer schon: Ludwig, Pensionist aus Rudow, im Süden der Stadt, ist gekommen, um schon mal gedanklich durchzuspielen, wie er einmal mit Gepäck herumkommt. Sein Fazit: „Etwas unübersichtlich, zu viele Rolltreppen. In Tegel sind die Wege kürzer.“
Trauer um Tegel
Tegel (TXL) ist Berlins zweiter Flughafen am anderen Ende der Stadt, den viele Berliner wegen seiner speziellen Architektur und der gehfreundlichen Distanzen verehren. Da der BER offen ist, wird Tegel am 8. November schließen. „Schlimm ist das“, sagt Michael Freitag, ein Mann, der mit der Bürgerinitiative „Tegel bleibt offen e. V.“ seit Jahren für den Flughafen kämpft. Er ist dieser Tage mit Mitstreitern vor einem anderen früheren Flughafengelände anzutreffen: In Tempelhof zünden sie Kerzen und trauern um den 2008 geschlossenen Airport, und nun auch um Tegel.
„Berlin braucht diesen Flughafen“, so Freitag. Er sollte als Ausweich- und Ergänzungsflughafen bleiben. Er glaubt, dass der BER, wenn er dann unter Volllast läuft, zu wenig Kapazität haben wird. Tatsächlich wurde er für 22 Millionen Passagiere geplant, alleine 2019 sind aber 35,6 Mio. geflogen. Also musste angebaut werden. Terminal 2 ist zwar fertig, aber wegen Corona derzeit nicht in Betrieb.
Die Pandemie setzt der Flughafengesellschaft zu. Es ist bekannt, dass sie durch die Passagier-Einbußen finanzielle Hilfe braucht. Bis 2023 benötigt man 1,5 Milliarden Euro, die nicht selber erwirtschaftet werden können. Aber natürlich hat der BER bereits zuvor viel verschlungen: Rechnete man zu Baubeginn 2006 mit zwei Milliarden Euro, sind die Kosten auf 6,6 Milliarden gestiegen. Und das ist vermutlich noch nicht das Ende der Rechnung.
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