Modell "Offene Grenze" läuft aus

15.000 Flüchtlinge am Wochenende. Notlösung läuft aus, wieder stichprobenartige Kontrollen an der Grenze.

Nach der Flüchtlingskrise ist vor der Flüchtlingskrise: Österreich und Deutschland drängen auf einen Sondergipfel. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagt „Nein“. Es gebe genügend EU-Treffen in nächster Zeit, um den Ansturm von Migranten zu bewältigen und Lösungen zu diskutieren.

Doch Handfestes ist Mangelware. Und so müssen Österreich und Deutschland wieder zur Normalität der Schengen- und Dublin-Regeln mitsamt stichprobenartigen Kontrollen an den Grenzen zurückkehren, und die Notaktion vom Wochenende auslaufen lassen. Denn die Sogwirkung auf Flüchtlinge mit Fernziel Deutschland ist enorm.
„Wir haben immer gesagt, das ist eine Notsituation, in der wir rasch und menschlich handeln müssen. Wir haben den mehr als 12.000 Menschen in einer akuten Situation geholfen. Wir müssen jetzt Schritt für Schritt weg von Notmaßnahmen hin zu einer rechtskonformen und menschenwürdigen Normalität“, sagte Kanzler Werner Faymann am Sonntag.

Heikle Treffen

Er trifft am Montag seine Amtskollegen aus Tschechien und der Slowakei, ebenso Gegner eines fixen Flüchtlings-Verteilungsschlüssels wie Ungarns Regierungschef Viktor Orban (Zum Artikel "Orban warnt vor Millionen Migranten"). Das Verhältnis zu Budapest ist sehr angespannt. Ein ungarischer Staatssekretär sagte: Faymann würde „jene Wut an Ungarns Regierung und dem Premier auslassen, die durch seine eigene Handlungsunfähigkeit in der Migrationskrise verursacht wurde“. Faymann will beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Österreich werde gemeinsam mit Deutschland auf EU-Ebene eine „zentrale Rolle“ einnehmen, um die gemeinsame Sicherung der Außengrenzen zu gewährleisten, faire Asylverfahren sicherzustellen und durch eine EU-Quote eine faire Verteilung der Asylwerber zu erreichen. Wie das gelingen soll, ist offen.
Unmittelbar eingerichtet wird eine Arbeitsgruppe mit Ungarn und Deutschland auf Ebene der Innenminister – doch das ist nicht mehr als ein Anfang. „Die EU steht vor ihrer größten Herausforderung – sie muss sich in Wahrheit den Friedensnobelpreis erst verdienen“, gibt Faymann zu.

Für eine fixe Quote sind derzeit große Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und kleinere Staaten wie Österreich. Eine Mehrheit beim nächsten EU-Innenministerrat am 14. September dürfte sich also ausgehen. Dagegen sind vor allem Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei sowie die baltischen Republiken. „Es ist nicht akzeptabel, wenn sich Länder aus der europäischen Solidarität ausklinken“, sagte Luxemburg Außenminister Jean Asselborn am Sonntag.

Der Plan ist nun, dass die Blockierer eine finanzielle Ausgleichszahlung leisten müssen. Aber – charakteristisch für die EU – kein Land soll vor den Kopf gestoßen werden. Die Ländern können sich deshalb ein Jahr freikaufen, wenn sie plausible Gründe angeben, etwa die überdurchschnittlich hohe Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ostukraine.

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Deutschland hat seine Arme so weit ausgebreitet, dass der Flüchtlingsstrom erst so richtig in Gang kommt. Auch am Sonntag wollten Tausende möglichst rasch durch Österreich durch und ins vermeintlich gelobte Land zu Mama Merkel. Aber auch Papa Faymann soll’s richten und nicht mehr nur durch- und abwinken, fordern immer mehr. Der Kanzler hat derzeit gleich mehrere Baustellen offen.

Den Arbeitsmarkt, der den einen oder anderen gut ausgebildeten, motivierten Syrer durchaus aufnehmen könnte. Die Länder und den Dauerstreit um die innerösterreichische Flüchtlingsquote. Hier könnte Faymann auf den vorbildlichen Verteilmechanismus in Deutschland verweisen. Und, drittens: Das extrem angespannte Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn – stellvertretend für die heftige Krise, in der die gesamte EU steckt.

Die geglückte Merkel-Faymann-Notaktion vom Wochenende schweißt die Gegner einer EU-Lösung in der Flüchtlingskrise noch mehr zusammen. Mit Ungarns Viktor Orban fliegen ohnehin schon die Fetzen. Heute trifft Faymann auf seine Amtskollegen aus Tschechien und der Slowakei – ebenso strikte Gegner eines fixen Verteilungsschlüssels für die Entwurzelten, die nach Europa drängen.

Aber die Zeit diplomatischer Floskeln ist vorbei. Es geht nicht an, dass sich Länder, die von der EU – also in Wahrheit von Nettozahlern wie Österreich, Deutschland oder Schweden – jahrelang mit Milliardenförderungen bedacht wurden, dann, wenn es darauf ankommt, aus der Verantwortung stehlen. Es ist doch so: Selbst wenn nicht 500.000, sondern fünf Millionen Flüchtlinge kommen sollten, wäre das nur ein Prozent der EU-Bevölkerung. Fair verteilt, keine allzu große Sache. Wie bisher, unfair auf einige wenige Länder verteilt, eine Katastrophe.

Papst Franziskus hat alle Pfarren, Klöster, Wallfahrtsorte und religiöse Gemeinschaften in Europa aufgerufen, Flüchtlinge aufzunehmen.

Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zollte der Zivilgesellschaft „uneingeschränkten Respekt“ für deren Hilfsbereitschaft. „Da kommen mir die Tränen, wenn ich das sehe. Das ist einfach wunderbar.“

Laut EU-Grenzschutzagentur Frontex machen kriminelle Banden mit Menschenhandel schon mehr Profite als mit dem illegalen Waffen- oder Drogenhandel.

Auf der griechischen Insel Lesbos ist es erneut zu schweren Ausschreitungen gekommen. Der Grund: Rund 500 Flüchtlinge wollten ohne Genehmigung auf eine Fähre, die nach Piräus auslief. (Zum Artikel: Bürgermeister von Lesbos: "Wir brauchen eine Flotte")

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