Flucht nach Spanien: Menschen als Werkzeuge der Politik
von Maren Häußermann aus Madrid
Junge Männer rennen in der Sonne am hellgrauen Strand entlang. Eine Frau im beige-geschecktem Kaftan und rotem Hijab geht ihnen entgegen. Einer der Männer in schwarzem T-Shirt und roter Hose erkennt sie und fällt ihr in die Arme. Sie haben es geschafft, sie sind auf der anderen Seite, noch immer in Afrika zwar, aber auf europäischem Hoheitsgebiet.
Durch Corona sind die Zukunftsaussichten für junge Marokkaner düster, ohne Ausbildung und Job versuchen viele, nach Spanien zu kommen. In den letzten 24 Stunden schwimmend, in der Meerenge von Gibraltar.
Grenzpolizei tut nichts
6000 Menschen haben innerhalb eines Tages die Grenze von Marokko nach Ceuta überquert, darunter ganze Familien. Viele kamen unterkühlt auf der spanischen Enklave in Nordafrika an, die zirka 85000 Einwohner zählt. Wie der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska am Dienstagmorgen bekannt gab, hat Spanien bisher 2700 Menschen abgeschoben. Die örtlichen Behörden beobachten, dass die marokkanische Polizei nichts tut, um die Bewegung aufzuhalten. Migranten als Druckmittel zu verwenden, scheint Marokkos neue außenpolitische Strategie zu sein, im Umgang mit einer EU, die für ihre Planlosigkeit in Bezug auf Migration bekannt ist.
Grund ist ein historischer Konflikt. Er geht zurück auf die Kolonialzeit, als sich die europäischen Mächte Afrika untereinander aufteilten. Marokko beansprucht das Gebiet der Westsahara, das im 19 Jahrhundert an Spanien fiel und bis in die 1970er-Jahre in dessen Einflussbereich blieb.
Nach dem Rückzug der Spanier in den 1980er-Jahren gründete sich dort die Polisario, die „Volksfront zur Befreiung von Saguía el-Hamra und Río de Oro“, die für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft. Deren Anführer, der 71-jährige Brahim Ghali, befindet sich in einem spanischen Krankenhaus, wo er wegen COVID und Krebs behandelt wird.
Wegen Westsahara hat jüngst auch Deutschland diplomatische Probleme mit Marokko bekommen. Nachdem Berlin die Entscheidung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump kritisierte, die Souveränität Marokkos über die Westsahara anzuerkennen, verschlechterten sich die Beziehungen.
Im März hat der nordafrikanische Staat jegliche Kooperation mit deutschen Regierungsstellen eingestellt, im Mai hat er seine Botschafterin aus Berlin abgezogen, außerdem bleiben Einreisen aus Deutschland weiterhin untersagt.
In Ceuta sind die spanischen Behörden standardgemäß auf 200 Ankömmlinge vorbereitet. Noch nie hat Spanien in so kurzer Zeit so viele Menschen seine Außengrenze überqueren sehen wie in den letzten 24 Stunden. 1500 von ihnen sind scheinbar minderjährig.
Nach internationalem Recht sind Minderjährige besonders schutzbedürftig und dürfen nicht einfach abgeschoben werden. Trotzdem berichten spanische Medien von Rückschiebungen direkt über die Grenze, einer Praxis staatlicher Sicherheitsbehörden, Migranten an der Grenzüberquerung zu hindern.
Schnelle Abschiebung
Spanien hat Soldaten geschickt, um beim Grenzschutz zu helfen. Auch Ministerpräsident Pedro Sánchez ist mit dem Helikopter nach Ceuta gereist. „Ceuta ist genauso Spanien wie Barcelona und Madrid und wir werden alles tun, um die Bevölkerung zu entlasten“, sagt sein Innenminister.
Auch vor der anderen spanischen Enklave in Nordafrika, Melilla, versuchten zirka 300 Migranten aus der Subsahara, die Grenze zu überqueren. Dies haben spanische und marokkanische Grenzbeamte gemeinsam verhindert. Am Dienstag hat Spanien beschlossen, 30 Millionen Euro an Marokko zu zahlen: Unterstützung für den Umgang mit Migration.
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