Die Sommer-Datscha mit knapp 450 Quadratmetern Wohnfläche war ein Geschenk an Ehefrau Jill. Über dem Eingang des dunkelblau gestrichenen, unscheinbar wirkenden Hauses, prangt „Versprechen gehalten“. Otto Normalverbraucher kriegt die Plakette mit dem kleinen Merksatz aber nicht zu sehen – Hochsicherheitszone.
Weil der Zaun, für den das Heimatschutzministerium in Washington rund 500.000 Dollar im Budget bereitgestellt hat, bis vor Kurzem noch nicht hochgezogen war, hielt der Secret Service rund um die Uhr Wache. Auch wenn der Präsident in seinem ersten Amtsjahr höchstens „zwei bis drei Mal“ einen Abstecher nach Rehoboth unternahm, wie Handelskammer- und Tourismus-Chefin Carol Everhart berichtet.
Der Beamte im weißen Van vor der Einfahrt von 32 Farview Road ist es offenbar gewohnt, bei laufendem Motor nach dem Besitzer gefragt zu werden. Fotos? „Nichts einzuwenden. Nur denken Sie bitte daran, dass die Anliegergemeinschaft es nicht leiden kann, wenn Fremde hier auf dem Seitenstreifen parken“. Beim Blick durch das Objektiv fällt eine einsame Überwachungskamera an einem verwitterten Strommasten vor Haus Biden auf.
An ihren Ferienhäusern sollt ihr sie erkennen: Die Kennedys haben ihren weitläufigen Sommersitz auf Cape Cod/Massachusetts. Ronald Reagan ritt im Urlaub auf den Pferden seiner kalifornischen Ranch. Der Bush-Clan lockt bis heute Tausende Touristen ins beschauliche Kennebunkport in Maine. Donald Trump erholte sich unter den Blattgold-Balustraden seines Protz-Anwesens in Mar-a-Lago/Florida von den Strapazen auf dem Golfplatz.
Joe Biden ist anders. Präsident Nr. 46 hat sich seine kleine Flucht schon vor langer Zeit in einem an Scheveningen, Travemünde oder Westerland erinnernden Seebad eingerichtet. Zwei Stunden Fahrzeit von seinem Wohnort Wilmington entfernt bietet Rehoboth bodenständige Meeresfrische für die Mittelschicht.
Warum der Präsident auf die 1.700-Seelen-Gemeinde verfallen ist? „Wir haben alles, was man braucht – aber mit dem Kleine-Städtchen-Charme“, sagt Carol Everhart. Biden ist hier immer nah- und sichtbar gewesen. „Man kam meist schnell mit ihm ins Gespräch, wenn er hier flanierte oder nach der Sonntagskirche in St. Edmond noch Zeit für ein Gespräch hatte“, sagt Joe Kramer, der sich als „waschechten Republikaner“ bezeichnet, aber mit dem Demokraten Biden „leben kann“.
Als der Präsident im vergangenen Juni zum ersten Mal per Hubschrauber einflog, mischte sich ein wenig Unmut unter die Leute. Es galt den 70. Geburtstag seiner Frau zu feiern. Absperrungen. Viel Polizei. Staus. Die Küstenwache kreuzte auf und ab. „Nichts gegen die Bidens. Aber wir waren froh, als der Spuk vorbei war“, sagte ein Einheimischer, der auf dem zwei Kilometer langen Holz-Gehweg am Strand sein Power-Walking-Programm absolviert.
Routine im Umgang mit Biden hat Susan Kehoe. Ihr gehört der gut sortierte Buchladen „Browseabout Books“. Jill Biden hat hier schon signiert. In den Auslagen sind immer Biden-Bände zu sehen. Manche mit 25 % Rabatt. Diesmal unter anderem die illustrierte Hommage von Jill Twiss an Schäferhund „Major“ Biden, der es auf leisen Pfoten „vom Tierheim ins Weiße Haus“ geschafft hat.
Manche Gastronomen monetarisieren den Promi-Status ihres berühmtesten Gastes. In ihrem Café „Oy, Vey“ hat Lori Kline für 11,95 Dollar den Sandwich-Zwitter „The Biden’s“ kreiert. „Joe mag unseren Thunfisch, Jill freut sich über den Hühner-Salat – bestellen sie jeweils eine Hälfte“, steht auf der Speisekarte.
Joe Mack, Eigentümer des gegenüberliegenden „Double Dippers“ verkauft dem Präsidenten Schokoladen-Eis. Auch bei „Dolles“, einem Zuckerbäcker, der seit bald 100 Jahren Popcorn und Salzwasser-Toffee vertreibt, schätzt man den süßen Zahn des Präsidenten.
Tourismus-Chefin Everhart freut sich über den Biden-Faktor. „Wir könnten nie so viel Werbung kaufen, wie der Präsident uns einbringt.“ Im August steht man auf der zentralen Zugangsstraße zum Strand im Dauerstau.
Ehrfürchtige Ergebenheit Biden gegenüber wird in Rehoboth nirgends praktiziert. Dazu reicht ein Blick in die Schaufenster der T-Shirt-Läden. „Vermisst ihr mich schon?“, heißt es auf einem Leinen-Hemdchen. Darüber grinst Donald Trump sein typisches Donald-Trump-Grinsen. Direkt daneben der verbrämte „F…ck Dich“-Slogan der Anti-Biden-Bewegung.
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