Feichtinger rechnet nicht mit russischem Einmarsch in der Ukraine
Der Militärstratege Walter Feichtinger rechnet nicht mit einer baldigen russischen Invasion in der Ukraine. „Ich sehe keinen Einmarsch in absehbarer Zeit“, sagte Feichtinger am Freitag im APA-Interview. Moskau habe nämlich derzeit in dem Konflikt eine „volle Werkzeugkiste“ wie etwa Propaganda, innere Unruhen oder Cyberangriffe. Ein Einmarsch sei nur „die letzte Karte“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wenn die anderen Bemühungen keinen Erfolg brächten.
Feichtinger warnte zugleich davor, die Gefährlichkeit der aktuellen Situation und die Entschlossenheit des russischen Präsidenten zu unterschätzen. Putin habe nämlich schon zwei Mal gezeigt, „dass er bereit ist einzugreifen“, verwies der frühere Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie auf die Kriege in Georgien (2008) und der Ukraine (2014).
„Putin braucht einen Erfolg, dafür hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt“, sagte Feichtinger. Das Militär sei dabei aber „nur Mittel zum Zweck“, betonte der ehemalige Bundesheergeneral. Der Aufmarsch der konventionellen Kräfte diene derzeit nur dazu, „Angst und Schrecken zu verbreiten“. Mit dieser „Drohkulisse“ wolle Russland zeigen, wozu es militärisch in der Lage sei. Zu den öffentlich viel beachteten Manövern der russischen Truppen sagte Feichtinger, diese seien „nicht irritierend“. Das sei vielmehr „militärischer Alltag“, denn Soldaten müssten üben und trainieren.
„Dass die russischen Kräfte haushoch überlegen sind, ist klar“, sagte der Bundesheeroffizier. „Russland ist in der Lage, sehr überraschend und an vielen Orten zuzuschlagen“, so Feichtinger, der diesbezüglich auch von einer Nutzung belarussischen Territoriums ausgeht. Der dortige Präsident Alexander Lukaschenko sei nämlich „dermaßen in die Enge getrieben, dass er Russland nur mehr unterstützen kann“. Damit seien die Angriffsszenarien „ganz andere“ und die russische Armee stehe so „direkt vor der ukrainischen Hauptstadt“.
„Ein Spaziergang würde es für Russland nicht, und es könnte sein, dass ihnen das Picknick nicht schmeckt“, fügte Feichtinger hinzu. Anders als im Jahr 2014 sei die ukrainische Armee nämlich heute nicht mehr komplett in Richtung Westen orientiert, und es sei mit Widerstand im Osten zu rechnen. Sollte Moskau über die Separatistengebiete hinaus Territorium einnehmen wollen, sei mit einem Partisanenkrieg zu rechnen. „Dann würde es in Richtung Afghanistan-Szenario gehen“, sagte er mit Blick auf das Bürgerkriegsland. „Es gäbe keine Sieger, nur Verlierer.“ Eben aus diesem Grund sei eine Invasion für Putin nur die „letzte Karte“, wenn alle anderen Instrumente keinen Erfolg haben.
Neben der „Propagandafront“, die bereits „voll im Laufen“ sei, nannte Feichtinger konkret auch Cyberangriffe. Was diesbezüglich bisher passiert sei, „ist nur eine Kostprobe dessen, was wirklich kommen kann“. So könnten über Cyberangriffe etwa auf Flughäfen oder Regierungsstellen „das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht“ werden. „Das ist in hohem Maße möglich.“ Weiters könnte Russland über Sympathisanten in der Ostukraine auch Unruhen anzetteln, und schließlich seien auch Operationen unter falscher Flagge durch Spezialkräfte („Speznas“) möglich.
Das russische Kalkül müsse zugleich auch „unerwünschte Nebeneffekte umfassen“, nannte Feichtinger ein weiteres Argument gegen militärische Aggression. Schließlich könnte dies nämlich auch bündnisfreie Staaten wie Finnland oder Schweden in die NATO drängen. Auch ein zu starker Einsatz der „Gaswaffe“ durch Russland könnte dazu führen, dass sich Europa stärker alternative Lieferanten suche. Dabei wäre eine Diversifizierung im Energiebereich dringend geboten, denn die derzeitige Abhängigkeit Europas von Russland „geht gegen alle strategischen Überlegungen“, betonte der Experte.
Die bisherige militärische Zurückhaltung der NATO in dem Konflikt erklärt Feichtiger nicht nur damit, dass die Ukraine eben kein Bündnismitglied ist. Deswegen komme Artikel 5 des Bündnisvertrags nicht zur Anwendung. Zudem müsse die NATO „vorsichtig sein“, weil sie durch allzu offensives Auftreten der russischen Argumentation einer Bedrohung Vorschub leisten könnte. Somit sei Hilfe für die Ukraine nur auf bilateraler Ebene möglich.
Eine spezifische Rolle für das neutrale Österreich als Vermittler sieht Feichtinger nicht. Vielmehr solle die Europäische Union „als Ganzes“ auftreten, um russische Pläne für Einflussnahmen über einzelne Staaten zu durchkreuzen. „Egoismus ist hier nicht angebracht“, betonte Feichtinger, der Österreich gleichwohl als „gegenüber Russland erpressbar“ ansieht und diesbezüglich auf die Energielieferungen verwies.
Kommentare