Pawel Durow soll nicht gezögert haben, die fünf Millionen Euro zu zahlen. So hoch hatten die französischen Behörden die Kaution angesetzt, für die der Multimilliardär sich am späten Mittwochabend nach fünf Tagen aus der Untersuchungshaft freikaufen konnte.
Ganz frei bewegen darf sich Durow deshalb nicht: Er muss vorerst in Frankreich bleiben und sich zweimal wöchentlich in einer Polizeistation melden.
Denn es ist wahr geworden, was schon im voraus weltweit für breite Diskussionen gesorgt hatte: Der 39-jährige Gründer des Online-Messengerdienstes Telegram, ist in Paris tatsächlich angeklagt worden. Zum ersten Mal überhaupt wird damit ein Chef einer Social-Media-App für die Inhalte auf seiner Plattform verantwortlich gemacht.
Wofür der Telegram-Chef konkret angeklagt wurde
Wie die zuständige Staatsanwältin Laure Beccuau am Mittwochabend erklärte, wird Durow der Beihilfe zur organisierten Bandenkriminalität, zum Drogenhandel und zur Verbreitung von sexuellen Darstellungen Minderjähriger angeklagt, weil er "ein Programm bereitgestellt hat, das diese Verbrechen erst ermöglicht hatte".
Sollte Durow in allen Punkten schuldig gesprochen werden, drohen ihm in Frankreich bis zu zehn Jahre Haft. Die Vorwürfe wiegen auch deshalb so schwer, weil Telegram und Durow selbst "ein nahezu vollständiges Ausbleiben von Reaktion und Kooperation bei Anfragen der Strafverfolgungsbehörden" gezeigt hätten, so Beccuau. Auch andere EU-Staaten würden diese Rechtsmeinung teilen.
Die Regierungen Russlands und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) kritisierten das Vorgehen der französischen Justiz, die Ansuchen beider Botschaften ablehnte - denn Durow besitzt insgesamt vier Staatsbürgerschaften, darunter auch die französische, muss also nicht ausgeliefert werden.
Durows Anwalt sagte unmittelbar nach Bekanntgabe der Anklage, es sei "absurd", dass der Leiter eines sozialen Netzwerks dafür verantwortlich gemacht werde, "dass es Nutzer gibt, die dieses Netzwerk missbrauchen". Und weiter: "Die einzige Aussage, die ich machen möchte, ist, dass Telegram in jeder Hinsicht den Vorgaben der Europäischen Union entspricht."
Warum die EU durch die Durow-Klage unter Druck gerät
Der Fall erhöht tatsächlich den Druck auf die EU, die mit dem sogenannten Digital Services Act (DSA) eigentlich schon seit 2022 eines der strengsten Gesetze zum Umgang mit Social-Media-Konzernen in Kraft gesetzt hat. Durch das Papier wären die Firmen eigentlich gezwungen, illegale Inhalte auf ihren Plattformen zu entfernen - also genau das zu tun, was Durow nun vorgeworfen wird, bei Telegram nicht getan zu haben.
Doch die EU-Kommission betonte bereits, dass sie in die Ermittlungen gegen Durow nicht involviert sei: "Es handelt sich um eine rein strafrechtliche Untersuchung auf nationaler Ebene, die von den französischen Behörden durchgeführt wird. Das hat nichts mit dem DSA zu tun."
Das liegt auch daran, dass sich Telegram für die EU-Behörden nicht klar einordnen lässt. Je größer eine Social-Media-Plattform in Europa ist, desto strenger muss sie die Vorgaben des DSA befolgen. Ab einer Zahl von 45 Millionen aktiven monatlichen Nutzern gelten die schärfsten Auflagen - zum Beispiel für Instagram, Tiktok oder X (einst Twitter).
Telegram konnte die EU-Kontrollmechanismen bisher umgehen
Telegram gibt jedoch kontinuierlich einen Wert an, der knapp darunter liegt - aktuell sind es angeblich 41 Millionen aktive Nutzer in Europa - und umgeht so etliche DSA-Vorgaben. Überprüfen lässt sich die Zahl nur schwer, weil der Konzern aus einem internationalen Firmengeflecht besteht und sein Hauptsitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten liegt.
Doch auch der EU fehlt bisher die Möglichkeit, Druck zu machen. Denn eigentlich muss jeder Mitgliedsstaat eine Behörde mit der Umsetzung des DSA beauftragen und ihr die dazu nötigen rechtlichen Befugnisse einräumen.
Unter anderem gegen Belgien läuft aktuell ein EU-Verfahren, weil die zuständige Telekommunikationsbehörde eben nicht die nötigen Befugnisse hat. Ausgerechnet Belgien wäre aber für die Kontrolle von Telegram zuständig, weil dort der Sitz des europäischen Tochterunternehmens gemeldet ist.
Die französische Justiz hat mit der Anklage Durows also auch in Richtung Brüssel aufgezeigt, dass die großen Social-Media-Plattformen eben doch zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn man deren Verantwortliche ins Visier nimmt - wie es auch diverse Datenschutz-NGOs seit Jahren gefordert haben.
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