Experte zum Iran: Zeit für Veränderung gekommen?
Die Proteste im Iran, ausgelöst durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini, halten seit Wochen unvermindert an. Der KURIER hat den Tiroler Iranisten und Islamwissenschafter Walter Posch gefragt, wie wahrscheinlich ein Regimewechsel im Iran derzeit ist und was diese Proteste von jenen der Vergangenheit unterscheidet.
KURIER: Herr Posch, in den Medien ist derzeit oft davon die Rede, dass im Iran eine Revolution im Gange ist. Stimmen Sie dem zu?
Walter Posch: Nein. Und ich finde es sehr verantwortungslos, von einer zu sprechen. Das ist eine Evolution.
Die Leute haben den ideologischen Schrott des Regimes satt. Sie wollen einen Staat, in dem Frauen sicher sind. Einen Staat, in dem man sich als Bürger nicht andauernd ideologisch bekennen muss. Sie wollen Rechtsstaatlichkeit. Die kommt nicht aus revolutionären Umstürzen heraus.
Später könnten nationale Fragen vielleicht zu einer Revolution führen. Das hängt aber auch davon ab, ob das Regime den Forderungen nachkommt.
Diese Forderungen sind aber evolutionär, nämlich die nach einem Rechtsstaat. Nicht nach einem revolutionären Kampf. Nicht auf der Ebene einer politischen Gewalt, sondern auf der Ebene der politischen Moral. Und da ist das Regime hoffnungslos in der Defensive.
1999, 2009, 2017, 2019 – im Iran wird immer wieder gegen das Regime protestiert. Ist diesmal etwas anders?
Ja, die Proteste sind diesmal nicht nur weit übers Land verstreut, sondern vereinen auch verschiedene Volksgruppen – an den Frauen in Teheran haben sie sich nur entzündet.
Die Forderungen sind klarer als früher. Man will die Auflösung der Sittenpolizei und eine genaue Aufklärung der Todesumstände von Mahsa Amini, aber auch die aller anderen Menschen, die auf ähnliche Weise ums Leben gekommen sind.
Der Iranist studierte Islamwissenschaft, Turkologie und Iranistik in Wien, Istanbul und Bamberg. Von 2004 bis 2009 arbeitete er am Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien in Paris. Anschließend forschte er vier Jahre lang bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Seit 2015 ist Posch am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie Wien. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind die Sicherheitsapparate und Untergrundbewegungen des Nahen Ostens. Er gilt als absoluter Experte seines Fachs.
Es ist außerdem weniger Organisation da und das Ganze läuft ohne die sogenannten Reformkräfte ab, denn von denen hat man auch genug. Es gibt also keine Struktur, die zu unterwandern oder deren Mitglieder zu verhaften wären.
Sehen Sie es dann auch als Vorteil, dass die Protestbewegung keine direkte Führungsfigur hat?
Ja, das ist eine Stärke. Der Iran hat einen ausgezeichneten Geheimdienst und Sicherheitsapparat, die beherrschen ihre Arbeit. Eine Anführerin wäre damit leicht auszuschalten. Aber was tut der beste Sicherheitsapparat mit einer Gruppe minderjähriger Mädchen, die ihre Kopftücher herunterreißt und „Diktator, verschwinde“ schreit?
Da ist etwas gebrochen, weil die Verachtung dem Gewaltapparat gegenüber größer ist als die Angst vor ihm.
Solidarität mit Irans Protestbewegung
Weltweit gehen Menschen auf die Straße, um die Iranerinnen und Iraner in ihrem Kampf zu unterstützen. Im Libanon (Bild)...
...ebenso wie in Frankreich....
... oder in Bangladesch
Der Oberste Geistliche Führer, Ali Khamenei, ist alt und krank. Befindet der Iran sich in einer politischen Übergangsphase?
Ich würde nicht auf Khameneis Tod spekulieren, da haben sich schon viele verrechnet. Er ist zwar müde, aber seine Anweisungen sind noch immer klar.
Ich glaube, nicht mal das Regime weiß, wer nach ihm kommt. Die Karten werden dann neu gemischt. Die Proteste haben damit nichts zu tun, er ist ja schon länger alt und krank.
Also kein Regimewechsel in nächster Zeit?
Es wird zu einer Transformation kommen – die politische Elite kann so nicht weitermachen. Diese Transformation kann eine negative sein, die bis an den Rand eines Bürgerkriegs führt. Sie kann aber auch positiv sein und ein Mehr an Rechtsstaatlichkeit bedeuten.
Das Hauptproblem des Iran ist nicht das Regime an sich, sondern die staatliche Gewalt, der Missbrauch, die Korruption. Wichtiger ist es, das zu beenden, bevor die Frage nach dem Regime gestellt wird. Andere mögen das anders sehen.
Welche möglichen Folgen der Proteste halten denn Sie derzeit für realistisch?
Dieser Tage müssen Entscheidungen fallen. Wir wissen nicht genau, in welche Richtung es gehen wird. Aus Erfahrung und von ähnlichen Schauplätzen wissen wir, dass es in solchen Situationen Spaltungen gibt.
Teile im Sicherheitsapparat wollen jetzt hart und radikal durchgreifen. Andere sagen: Wenn wir das tun, haben wir Volksgruppenkonflikte und konfessionelle Konflikte. Ein Streit über Identitäts- und Konfessionsfragen könnte sich über Generationen ziehen. Dann hätten wir brennende Feuer und quasi einen Bürgerkrieg von Belutschistan bis Kurdistan.
Irans Führer seit 1979
Schah Reza Pahlavi war der letzte Schah Persiens. Am 16. Jänner 1979 stieg er in Teheran in ein Flugzeug nach Ägypten. Der als Urlaubsreise ausgegebene Flug war in Wahrheit eine Flucht, die das Ende einer 2.500 Jahre alten Monarchie einleitete. Pahlavi galt als Marionette der USA und war für seinen luxuriösen Lebensstil bekannt. Das Volk empörte er mit mehreren misslungenen Reformen. Mit seinem Sturz begann die Feindschaft zwischen dem Iran und den USA
Irans Führer seit 1979
Ayatollah Khomeini gilt als Gründer der Islamischen Republik Iran. Er kehrte zwei Wochen nach der Flucht Pahlavis aus dem Pariser Exil nach Teheran zurück und wurde dort von jubelnden Massen empfangen, die große Hoffnungen in ihn setzten. Sie wurden enttäuscht: Khomeini hatte Freiheit und Gerechtigkeit versprochen, griff aber anders als angekündigt nach der Macht, islamisierte alle gesellschaftlichen Bereiche und kontrollierte das Leben der Bevölkerung
Irans Führer seit 1979
Ali Khamenei war ein treuer Anhänger von Ayatollah Khomeini und wurde nach dessen Tod 1989 selbst zum Obersten Geistlichen Führer des Iran. Jahrzehntelang hatte auch er Politik und Bevölkerung im Griff und unterdrückte Bedrohungen seines Systems in der Regel mit Gewalt. Auch außenpolitisch vertritt er eine harte Linie, gerade was die Vereinigten Staaten betrifft. Wer auf den alten und kranken Khamenei folgen könnte, ist bisher reine Spekulation
Andere sagen: Kommen wir den Protestierenden bei der Kopftuchfrage entgegen – nicht ganz, aber suchen wir einen Kompromiss. Das hängt davon ab, wie glaubwürdig die politischen Akteure auftreten können. Der jetzige Präsident könnte damit überfordert sein.
Die EU hat diese Woche wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen die Demonstrierenden Wirtschaftssanktionen gegen den Iran angekündigt. Für wie sinnvoll halten sie das?
Die Frage ist: Was wollen wir eigentlich vom Iran? Angesichts der Gaskrise ist es attraktiv, an iranisches Gas zu denken. Aber was viel wichtiger ist, ist das Nuklearabkommen, aus dem die USA bedauerlicherweise ausgestiegen sind. Es war ein Meilenstein der Diplomatie-Geschichte und es wäre sehr vernünftig, es wieder zum Laufen zu bringen.
Die EU sollte das weiterverfolgen. Und außerdem: Was will man denn im Iran überhaupt noch sanktionieren?
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