Woran scheiterte das?
Es gibt einen Denkfehler. US-Soldaten sind in erster Linie auf den Kampfeinsatz spezialisiert. Aber sie hatten vor allem zu Beginn keinerlei Ausbildung und Fachkenntnis, um demokratische Strukturen in einem fremden Land aufzubauen. Dies ist für die Soldaten eine enorme Herausforderung und Überforderung. Das habe ich selbst erlebt.
Erzählen Sie bitte!
Wir kamen als ausgebildete Kämpfer in den Irak. Aber bald schon mussten wir Treffen der Stadträte organisieren, Wahlen vorbereiten und durchführen sowie Infrastrukturplanungen erstellen, etwa für den Bau von Schulen. Eine meiner Hauptaufgaben war es, Dienstleister innerhalb der irakischen Gesellschaft zu finden. Wer hat einen Kipplaster, wer kann einen Kran bedienen? Sie müssen wissen, dass ich – wie die meisten US-Soldaten – kein Wort Arabisch konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie und wo ich einen geeigneten irakischen Kipplaster-Fahrer auftreiben sollte. Und dazu kam noch etwas anderes.
Was denn?
Wir waren und sind teilweise noch eine Armee, die am Ende des Kalten Krieges ausgebildet worden ist. Damals war der Feind die Sowjetunion, ebenfalls eine starke, militärisch hochgerüstete Macht. Wir sind damals als kampfbereite Soldaten in den Irak gegangen und haben zunächst unsere Position mit Gewalt durchgesetzt. Dabei sollten wir den Menschen helfen, einen Alltag zu organisieren. Das passt nicht zusammen. Ich habe mit vielen Irakern gesprochen, die meinten: „Demokratie? Klar wollen wir das! Aber zuerst wollen wir Sicherheit und Ruhe in unserem Land.“ Also nicht nur wir Soldaten verstanden die eigene Mission nicht wirklich, auch die irakische Bevölkerung verstand den Einsatz kaum. Diese Parallelen gibt es auch in Afghanistan.
Hat sich das im Laufe der vergangenen Jahre nicht geändert?
Ein wenig. Das zeigen auch einige Berichte jener Soldaten, die in den vergangenen Jahren aus Afghanistan heimgekehrt sind. Es ging nicht mehr vordergründig darum, mit aller Gewalt Stärke zu demonstrieren. Das Problem ist einfach, dass die Armee die falsche Organisation ist, um Demokratie zu fördern.
Sie waren 13 Monate im Einsatz. Was bedeutet das für die Psyche?
Es ist ein Mitproblem, dass die amerikanischen Soldaten, verglichen mit jenen aus anderen Nationen, wesentlich länger am Stück vor Ort sind. Unweigerlich tritt ein Verrohungsprozess ein. Man stumpft ab, wird misstrauisch. Das ist problematisch, da man gleichzeitig Menschen helfen und auf sie zugehen soll. Ich wusste irgendwann nicht mehr, wer Freund oder Feind ist. Bis auf einen geschossen wird. Am Ende waren wir alle kaputt.
Wie werden die Einsätze in den USA in Erinnerung bleiben?
Die große Mehrheit der Amerikaner hat kein Verständnis, was vor Ort wirklich geschehen ist. Sie wurden als Gesellschaft nie aufgefordert, irgendein Opfer zu bringen – abgesehen von ihrem Steuergeld natürlich. In Vietnam wurden die Soldaten noch vom Staat eingezogen, im Irak oder Afghanistan geschah der Einsatz auf freiwilliger Basis. Man sieht zwar Bilder vom Krieg, aber dennoch bleibt alles abstrakt.
Aber die Attacken am 11. September 2001 haben Amerika bewegt …
Natürlich. Es gab dadurch zunächst ein Gemeinschaftsgefühl, man erkannte die Bedrohung. Und jedem war natürlich klar, dass die USA darauf militärisch antworten werden. Aber irgendwann änderte sich der Einsatz vom Kampf gegen El Kaida zu einer Mission des Wiederaufbaus in einem fernen Land. Das mag egoistisch klingen, aber damit schwand die Unterstützung innerhalb der US-Bevölkerung.
Was haben Sie bei 9/11 gedacht?
Tatsächlich war ich zu dieser Zeit bei der Ausbildung in der Infanterieschule. Wir machten ein mehrtägiges Manöver im Wald. Ich habe erst zirka eine Woche später von den Anschlägen erfahren.
Bröckelt der Status der USA als Weltpolizei?
Kaum. Afghanistan ändert nicht viel. Die Definition ändert sich womöglich ein wenig. Ich erkenne, dass die Biden-Regierung einen genauen Plan hat, wie und wo sie ihre militärischen Ressourcen künftig einsetzen will. Sicherheitspolitisch wird sich der Schwerpunkt Richtung China und Russland verlagern. Aber an einen langen, kräftezehrenden Einsatz wie im Kosovo, Irak oder in Afghanistan glaube ich in näherer Zukunft nicht. Ein solcher wäre innerhalb der Bevölkerung schwer zu rechtfertigen, ohne direkt erkennbare Bedrohung für die USA.
Haben Sie es je bereut, mit 17 zur Armee gegangen zu sein?
Gar nicht. Ich war ein stolzer Soldat und habe einige herausfordernde Ausbildungen gemacht. Ich mochte die Armee, aber ich hatte Probleme mit dem Einsatz im Irak. Ich war nicht stolz auf mich und diese Mission. Als ich aus dem Irak zurückkam, wusste ich, ich muss vielleicht irgendwann wieder meine Kompanie in einen dieser Einsätze führen. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.
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