Europas Notbremsen gegen Putins Profite: Preise sollen sinken
Strom sparen, Übergewinne abschöpfen: Die EU-Energieminister suchten nach gemeinsamen Auswegen aus Preisexplosion und Knappheit. Gegen Preisdeckel für russisches Gas legt sich Österreich quer
Jetzt muss es mit der leistbaren Stromversorgung schnell gehen – ehe die Heizungen aufgedreht werden und die Energiepreise noch heftiger durch die Decke schießen. Spätestens in ein paar Wochen sollen in der gesamten EU die dafür nötigen Notmaßnahmen durchschlagend wirken: Das war die wichtigste Botschaft der 27 EU-Energieminister, die am Freitag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen eilten. Ihr Auftrag an die EU-Kommission: Bis Dienstag soll die Behörde die gestern ausgearbeiteten Vortschläge in Gesetzestexte gießen.
Eine der Vorgaben, auf die sich die Minister rasch einigten, heißt: Strom sparen. Besonders zu den Hauptproduktionszeiten soll der Verbrauch reduziert werden. Denn zu den Stunden, wo am meisten Strom benötigt wird, muss mit Gas hergestellte Energie zugeliefert werden – und dann wird es aufgrund der derzeit exorbitant hohen Gaspreise besonders teuer.
Die Idee dahinter, die auch Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler gestern in Brüssel einforderte: Wenn möglich, sollen bestimmte Produktionsschritte in die Nacht oder Wochenendzeiten verlagert werden.Auch bei der geplanten Abschöpfung der Zufallsgewinne von Energieunternehmen herrschte in Brüssel weitgehend Einigkeit. Einige Länder wie Italien kassieren die millionenschweren Übergewinne von Energiekonzernen bereits seit einigen Monaten, Deutschland führt sie demnächst ein.
Solidarabgaben
Abgeschöpft werden demnach die Gewinne folgender Stromerzeugungsarten: Wind, Sonne, Wasserkraft, Geothermie, Atomkraft, Biomasse, Müllverbrennung u.v.a. Alle Gewinne, die über (vorerst geplanten) 200 Euro pro Megawattstunde liegen, sollen einkassiert und an bedürftige Haushalte und Unternehmen verteilt werden. Unternehmen, die auf Basis fossiler Energieträger arbeiten – OMV etc. – sollen künftig millionenschwere Solidarabgaben leisten.
Die staatlichen Beihilferegeln in der EU sollen rasch angepasst werden, damit in Not geratene Energieunternehmen schnellstmöglich Liquiditätshilfen erhalten können.
Mit einer Entlastungsmaßnahme ist Österreich hingegen bereits einen Schritt vorneweg: Eine Strompreisbremse, wie sie die Regierung diese Woche präsentiert hat, wird es auf europäischer Ebene nicht geben.
"Notsituation"
Auch Gewesslers Forderung, den Gaspreis vom Strompreis zu entkoppeln, fand in Brüssel gestern kein Gehör. „Der hohe Gaspreis treibt den Strompreis. Wir müssen dort rein. Das ist eine Notsituation, die einer Notmaßnahme bedarf“, sagte die Energieministerin.
Ihrer Forderung stimmte gestern auch ihr deutscher Amtskollege Robert Habeck zu – doch die Mehrheit der EU-Energieminister lehnten einen derart großen Eingriff in den Strommarkt ab.
Dies sei Sache einer längerfristigen Reform des europäischen Strommarktes, jetzt gehe es vorerst einmal um rasch und schnell wirksame Maßnahmen.
Russisches Gas
2021 betrug der Anteil von russischem Gas an den Importen der EU 40 Prozent. Jetzt liegt er nur noch bei 9 Prozent. Der Füllstand der Gasspeicher der EU beträgt im Schnitt bereits 82 Prozent.
Andere Anbieter
Der Ersatz kam meist in Form von – sehr teurem – Flüssiggas (LNG) aus den USA und Qatar. Zusätzliches Gas kam aus Norwegen, Aserbaidschan und Algerien
63Prozent mehr
betrugen die LNG-Importe in die EU in den ersten acht Monaten 2022 im Jahresvergleich
Zugleich versucht die EU mit ihren Notmaßnahmen die Energiesituation, von der Russlands Präsident Wladimir Putin so sehr profitiert, zu verändern. Das wäre laut EU-Kommission möglich, wenn russisches Gas künftig mit einem Preisdeckel versehen würde. Die Einkäufer in Europa würden demnach russisches Gas nur noch zu einem, von ihnen selbst gesetzten, niedrigeren Preis kaufen. Darauf hin droht der Kremlherr gleich: Dann würde eben gleich gar kein Gas mehr geliefert werden.Für Österreich wäre ein völliger Lieferstopp ein Horrorszenario – dementsprechend energisch lehnte Energieministerin Gewessler einen Preisdeckel für russisches Gas ab. Ungarn, Tschechien und die Slowakei sehen das ebenso. „Wir haben es zwar geschafft, unsere Abhängigkeit von 80 Prozent von russischem Gas auf unter 50 Prozent zu drücken“, sagte Gewessler, „aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinmüssen.“ Heimische Energieexperten geben überdies zu bedenken, dass diese Angaben Gewesslers zu optimistisch berechnet sein könnten.
Noch kein gemeinsamer Gaseinkauf
Ein gemeinsamer europäischer Gaseinkauf, den die Regierung in Wien einfordert, war gestern in Brüssel kein Thema. Ein mit den Planungen beauftragter EU-Beamter sah Fortschritte in diese Richtung noch „Monate entfernt“.
Nach dem gestrigen Energierat wird die EU-Kommission am Dienstag entsprechende Gesetzesvorschläge vorlegen. Ende September werden die Energiminister nochmals zusammenkommen. Spätestens ab Oktober könnten die Maßnahmen dann umgesetzt werden.
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