"Schwerer historischer Fehler": Kritik an EU-Erweiterungsblockade

"Schwerer historischer Fehler": Kritik an EU-Erweiterungsblockade
Scheidende EU-Spitzen Tusk und Juncker kritisieren Nein zu Gesprächen mit Nordmazedonien und Albanien.

Die geplante EU-Erweiterung um Nordmazedonien und Albanien wird erst im Frühjahr 2020 weiter beraten, berichtete EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag nach dem Ende des EU-Gipfels in Brüssel.

Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übten scharfe Kritik am Unvermögen der EU-Staaten, sich auf Beitrittsgespräche mit den beiden Westbalkanstaaten zu einigen. Juncker sprach von einem "schweren historischen Fehler".

EU hat Test nicht bestanden

"Beide Länder haben den Test bestanden, das kann ich über unsere Mitgliedstaaten leider nicht sagen", sagte Tusk. Bis zum EU-Gipfel im Mai 2020 in Zagreb sollte die EU eine Entscheidung treffen, kündigte Tusk an. Er zeigte sich zugleich überzeugt, dass Nordmazedonien und Albanien letztlich EU-Mitglieder werden.

"Nordmazedonien und Albanien haben keine Schuld an dieser Entwicklung", betonte Tusk. Beide Länder hätten die Kriterien der EU-Kommission erfüllt. Leider hätten einige EU-Staaten nicht zugestimmt. "Ich persönlich finde das einen Fehler", so Tusk. Und an Skopje und Tirana gerichtet fügte der scheidende EU-Ratspräsident hinzu: "Bitte gebt nicht auf. Wir verstehen voll Ihre Frustration."

Die EU sei ein vielschichtiges Gebilde. Manchmal dauere es zu lange, Entscheidungen zu finden. Die Entscheidung der EU sei kein Scheitern, aber ein Fehler. Juncker zeigte sich "sehr enttäuscht über das Ergebnis" der Gipfelaussprache zur Erweiterung. Die EU müsse ihre Versprechen erfüllen.

Merkel bedauert

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte, dass sich die EU-Staaten nicht auf den Start von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien einigen konnten. Das Thema werde nun wohl vor dem EU-Westbalkan-Gipfel in Zagreb im Frühjahr 2020 erneut debattiert, sagte Merkel.

Nach Merkels Worten hatten Frankreich, Dänemark und die Niederlande Vorbehalte gegen die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit den beiden Nachbarstaaten. Die Christdemokratin unterstützte ausdrücklich das Anliegen Frankreichs, das Verfahren zur Aufnahme neuer EU-Mitglieder zu reformieren. Dennoch hätte sie den Start jetzt für richtig gehalten, sagte sie. Zugleich verteidigte sie den Plan, die Beitrittsgespräche mit beiden Staaten zu beginnen. Merkel argumentierte damit, dass in Mazedonien eine große albanische Minderheit lebt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bekräftigte hingegen seine Position. Man könne die Europäische Union nicht erweitern, ehe sie reformiert sei, betonte er. Macron macht sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 für eine tiefgreifende Reform der EU stark, trifft dabei aber auf Widerstand vieler Mitgliedsstaaten.

Kein Fortschritt bei Budget

Der EU-Gipfel in Brüssel hat nach Junckers Worten auch keine Fortschritte im Ringen um das EU-Mehrjahresbudget von 2021 bis 2027 gebracht. Es seien lediglich alt bekannte Standpunkte der EU-Staaten wiederholt worden. Neue Elemente habe es nicht gegeben, sagte Juncker.

Er plädierte dafür, den "weisen" Vorschlag der EU-Kommission für den Finanzrahmen anzunehmen. Die EU-Staaten hätten die Pflicht, rasch zu entscheiden. Ansonsten könnten Verzögerungen bis zu zwei Jahren für Forscher, beim Jugendaustausch und anderen EU-Programmen entstehen. Juncker glaubt auch nicht, dass eine Entscheidung bereits im Dezember gefunden wird, wenn der EU-Gipfel sich wieder damit befasst.

Österreich zählt zu jenen Staaten, die im Budgetstreit eine besonders harte Haltung einnehmen. Gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden und Schweden hat Österreich eine "Nettozahler-Allianz" geschmiedet, das das Volumen des EU-Budgets bei einem Prozent der europäischen Wirtschaftskraft deckeln soll.

Die EU-Kommission, die künftig in Budgetfragen vom Österreicher Johannes Hahn vertreten wird, fordert mit Blick auf neue Aufgaben der EU etwa beim Klimaschutz oder dem Außengrenzschutz einen Umfang von 1,11 Prozent der Wirtschaftskraft. Das Europäische Parlament, das sich mit den Mitgliedsstaaten auf das Budget verständigen muss, schlägt sogar 1,3 Prozent vor.

Kompromiss abgelehnt

Ein Kompromissvorschlag der finnischen EU-Ratspräsidentschaft, wonach das Budgetvolumen 1,03 bis 1,08 Prozent der Wirtschaftskraft der Mitgliedsstaaten betragen soll, wird sowohl von der Kommission als auch von vielen Mitgliedsstaaten abgelehnt.

Für Tusk und Juncker war der Gipfel der Abschied von der EU-Bühne. Für beide stellte der Gipfel das letzte reguläre Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs dar, allerdings könnten beide in Kürze noch einmal an einem Brexit-Sondergipfel teilnehmen.

"Schwerer historischer Fehler": Kritik an EU-Erweiterungsblockade

Abschied von der großen EU-Bühne für Tusk und Juncker (re.)

Für Juncker ist es der 148. Gipfel gewesen, an der er teilgenommen hatte, wie er bei der abschließenden Pressekonferenz sagte. Er dankte Tusk und auch den anwesenden Journalisten. "Einige von Ihnen begleiten mich schon seit Jahrhunderten. Ich habe viel von ihnen gelernt", scherzte er.

Und Tusk dankte den Pressevertretern neben den "harten aber fairen Fragen" dafür, dass sie auch über seine Witze gelacht hätten, die gar nicht immer so lustig gewesen seien. Für beide gab es zum Abschluss auch höflichen Applaus.

Der nächste reguläre EU-Gipfel findet erst Mitte Dezember statt. Am 1. Dezember folgt der belgische Premier Charles Michel Tusk als EU-Ratspräsident nach. Ebenfalls Anfang Dezember soll die gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Führung der EU-Behörde übernehmen.

Kommentare