Kern schießt scharf gegen EU-Sozialplan

Christian Kern am EU-Gipfel in Brüssel, heute Donnerstag.
Zugleich verteidigt der Bundeskanzler die österreichische Position in der Türkei-Frage, man müsse „ein alternatives Konzept für den EU-Beitritt ausarbeiten“.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat scharfe Kritik an dem jüngsten Vorschlag der EU-Kommission zu einem EU-Sozialplan geübt. "Wir wissen, dass Personenfreizügigkeit eine der Grundprinzipien der Europäischen Union ist. Das kann aber nicht heißen, dass es das Recht auf Einwanderung in einen besseren Sozialstaat gibt", sagte Kern am Donnerstag vor dem EU-Gipfel in Brüssel. Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sprach sich gegen eine Umsetzung aus.

"Frage der gerechten Löhne"

Bei dem Treffen der 28 Staats- und Regierungschef wolle er den EU-Sozialplan auf jeden Fall ansprechen. "Hier geht es um die Frage der Arbeitsplätze, hier geht es um die Frage der gerechten Löhne. Die Europäische Union kann sich nicht darin wiegen, hier kollektiv das Lohnniveau unter Druck zu bringen", kritisierte der Bundeskanzler.

Konkret hatte sich Kern bereits im Vorfeld gegen der in dem Vorschlag vorgesehenen Anpassung des Arbeitslosengeld für Grenzgänger ausgesprochen. Demnach können diese ihre Ansprüche in dem Land stellen, in dem sie die vorangegangenen zwölf Monate gearbeitet haben. EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen argumentierte: "Wenn man in ein Sozialsystem einzahlt, dann hat man auch das Recht, die gleichen Bezüge zu bekommen."

"Es ist kein Signal der Stärke, auf Dauer Blockadeübung zu betreiben, sondern Mehrheiten zu finden"

Kern schießt scharf gegen EU-Sozialplan
ABD0053_20161215 - BRÜSSEL - BELGIEN: Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Donnerstag, 15. Dezember 2016, anl. des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. - FOTO: APA/BKA/ANDY WENZEL - ++ WIR WEISEN AUSDRÜCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRÜNDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEFÜHRTEN ZWECK UND REDAKTIONELL ERFOLGEN DARF - VOLLSTÄNDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND ++

Ein weiteres heißes Thema am EU-Gipfel ist die Frage eines EU-Beitritts der Türkei und die umstrittene österreichische Position. Sebastian Kurz hatte sich diese Woche beim Rat der EU-Außenminister mit einem Veto gegen weitere Beitrittsverhandlungen und eine gemeinsame Erklärung des Rates gestemmt. Es sei "kein Signal der Stärke, auf Dauer Blockadeübung zu betreiben, sondern Mehrheiten zu finden", sagte Kern. Solange dies "nicht gelingt, haben wir die europäische Situation zur Kenntnis zu nehmen".

Er gehe davon aus, dass es am Gipfel "notwendig ist", die österreichische Position nochmals zu erklären, "die im Rat (der Außenminister, Anm.) keine Mehrheit gefunden hat. Vor dem Hintergrund haben wir zu akzeptieren, wie die Situation ist. Das haben wir auch in Österreich zur Kenntnis zu nehmen". Viele Kollegen hätten die Auffassung, "die Gesprächskanäle mit der Türkei offenzuhalten. Das haben wir zu akzeptieren. Unsere Aufgabe ist es, Partner zu finden", so Kern.

"Es macht keinen Sinn über Erklärungen zu diskutieren. Mich interessiert konkrete Politik"

Kern schießt scharf gegen EU-Sozialplan
Am 15. Dezember 2016 fand in Brüssel der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs statt. Im Bild Bundeskanzler Christian Kern.

Ob er also nicht auf Biegen und Brechen die anderen 27 von der österreichischen Haltung überzeugen wolle, beantwortete Kern damit, dass es "keinen Sinn macht, über Erklärungen zu diskutieren. Mich interessiert konkrete Politik. Wir sollten ein alternatives Konzept zum EU-Beitritt der Türkei ausarbeiten, das wirtschaftspolitische, migrationspolitische und sicherheitspolitische Punkte umfasst. Das ist die österreichische Position".

Die von den Niederlanden geforderte Zusatzerklärung zum europäisch-ukrainischen Partnerschaftsabkommen ist nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur beschlussreif. In dem kurz vor dem Start des EU-Gipfels in Brüssel fertiggestellten Text wird festgehalten, dass die Ukraine durch das Abkommen keine konkrete Perspektive auf einen EU-Beitritt erhält.

Die EU verpflichtet sich demnach in keiner Art und Weise, dem Land den Kandidatenstatus zu verleihen.

Durch die Zusatzerklärung soll es den Niederlanden ermöglicht werden, das Abkommen zu ratifizieren. In dem Land hatten am 6. April EU-Kritiker eine Volksabstimmung gegen den Vertrag gewonnen. Die Zusatzerklärung soll nun den Bedenken der niederländischen Kritiker Rechnung tragen. Die Niederlande sind das einzige EU-Land, das den Vertrag noch nicht ratifiziert hat.

Das Abkommen sieht deutlich engere Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU vor. Regelungen zum Handel werden bereits seit Anfang des Jahres vorläufig angewendet. Sie umfassen einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle. Zudem werden unter anderem die Ansiedelung von Unternehmen erleichtert und der freie Kapitalverkehr garantiert.

Bundeskanzler Christian Kern bezeichnet das Abkommen als "sehr vernünftig".

Es gehe beim EU-Gipfel darum, den "Holländern Garantien für etwas offensichtliches zu geben, nämlich dass wir nicht über einen Beitritt der Ukraine zur EU sprechen", sagte Kern am Donnerstag in Brüssel. Dies müsse unterstrichen werden. "Da ist mehr Psychologie als Realpolitik im Spiel", sagte der Kanzler beim Eintreffen im EU-Ratsgebäude.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will trotz des umstrittenen Verhaltens des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an dem Flüchtlingsdeal mit Ankara festhalten. "Wir fühlen uns dem Abkommen mit der Türkei - Erdogan hin oder her - verpflichtet", sagte Juncker am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg. Zahlen würden den Erfolg der im März getroffenen Vereinbarung bestätigen.

"Der Plan funktioniert", erklärte Juncker. So sei etwa die Zahl der aus der Türkei nach Griechenland kommenden Flüchtlinge von 10.000 an einem Tag auf 90 pro Tag gesunken.

Die Türkei steht am Donnerstag auf der Tagesordnung des Gipfeltreffens der 28 Staats- und Regierungschefs. Ob es dabei auch abseits des Flüchtlingsabkommens über das Vorgehen in der Türkei-Frage eine Diskussion geben wird, ist noch unklar. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte bei dem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen am Dienstag eine gemeinsame Erklärung blockiert, da kein ausdrückliches Einfrieren der Beitrittsgespräche mit Ankara darin nicht berücksichtigt wurde. EU-Ratspräsident Donald Tusk weigerte sich jedoch nach Angaben aus dem Rat, das Thema in letzter Minute auf die Tagesordnung zu setzen.

Neben einigen Erfolgen in der Migrationsfrage dürften aber die "Probleme im Mittelmeer und Italien" nicht unterschätzt werden, betonte Juncker. "Wir dürfen Italien mit den Flüchtlingen nicht alleine lassen", appellierte der Kommissionspräsident an die anderen EU-Staaten und sagte dem verschuldeten Euroland Unterstützung bei der Bewältigung der Migrationsbewegung zu. Dabei solle der Wachstums- und Stabilitätspakt "flexibel" ausgelegt werden.

Das EU-Parlament hat am Mittwoch angesichts der dramatischen Lage im syrischen Aleppo die EU-Mitgliedstaaten zum Handeln aufgefordert. In einer Aussprache im Vorfeld des EU-Gipfels am Donnerstag appellierten die EU-Parlamentarier an die 28 Staats-und Regierungschefs, sich für humanitäre Hilfe, für eine Feuerpause und die politische Zukunft Syriens einzusetzen.

Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte im EU-Parlament in Straßburg die Konfliktparteien in Syrien auf, einen sicheren Abzug von Zivilisten aus Aleppo zu ermöglichen. Er rufe alle Beteiligten auf, sich "ihre Menschlichkeit in Erinnerung zu rufen und es den Zivilisten - den Frauen, den Kindern - zu erlauben, die Stadt sicher zu verlassen", sagte Juncker.

"Die Welt hält den Atem an. Die Bilder aus Aleppo schockieren uns alle", sagte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). Zwar sei der Abzug der Rebellen aus dem Osten der umkämpften Stadt "sicher zu begrüßen", aber die EU müsse nun über humanitäre Hilfe für die Zivilisten sowie über die Aufnahme von Flüchtlingen sprechen.

Zum Thema Aleppo gehöre auch "der Blick nach Moskau". Für die Konservativen sei die "Appeasement-Politik kein Ansatz im Umgang mit (Russlands Präsident Wladimir) Putin", erklärte Weber, der auch die Forderung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihres französischen Amtskollegen Francois Hollande nach der Verlängerung der Russland-Fraktionen begrüßte.

Der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella forderte ebenfalls humanitäre Hilfe, einen Waffenstillstand und das Verurteilen des Verhaltens Russlands. Allerdings setzt der Italiener nicht sonderlich große Hoffnungen in die 28 Staats-und Regierungschefs. Die Kommission mache Vorschläge, aber "nichts wird sich aus dem Gipfel morgen ergeben".

"Sie werden das bedauern, aber sie können mehr", sagte der Liberalen-Chef Guy Verhofstadt angesichts der Gräueltaten in Richtung der EU-Staaten. Er forderte vom Gipfel, Sanktionen gegen das syrische Regime und Russland zu erlassen, wenn kein freier Zugang für humanitäre Hilfe und eine Feuerpause sowie Gespräche für eine politische Lösung gewährleistet würden.

In diesem Zusammenhang forderte die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller, dass sich die EU-Staaten auch um den angemessenen Schutz für Flüchtlinge kümmern. "Wenn wir die Schlussfolgerungen des Rats sehen, dann ist da 'nada'", betonte Keller. Es gebe nirgendwo eine "Botschaft", wie man mit den Asylsuchenden umgehe. Dabei kritisierte die Grüne-Abgeordnete im Hinblick auf den Flüchtlingspakt mit der Türkei, die EU-Staaten seien sogar zu "schmutzigen Deals" bereit.

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