Obwohl der deutsche Kanzler Olaf Scholz zum Auftakt des Westbalkan-Gipfels am Montag in Berlin ausdrücklich Erfolge im Hinblick auf die EU-Erweiterungsprozesse in der Region lobte, hatte der Anlass für das Treffen einen eher bitteren Beigeschmack: zehn Jahre „Berlin-Prozess“, mit dem Deutschland, Österreich und andere Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien näher an Brüssel heranführen wollten.
Zwar konnte Scholz sich über Abkommen zu niedrigeren Roaming-Gebühren, Studentenaustausch und einer Klimapartnerschaft freuen und in manche Beitrittsprozesse ist zuletzt auch wieder etwas Schwung gekommen, etwa mit der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen Albaniens diese Woche und dem Kandidatenstatus Bosnien-Herzegowinas 2022. In einigen der genannten Länder hat sich im vergangenen Jahrzehnt jedoch auch großer Frust darüber angestaut, mittlerweile zum Teil schon 20 Jahre im „EU-Wartezimmer“ ausharren zu müssen. Beitritt hat es seit Kroatien 2013 keinen mehr gegeben.
Gründe hat das verschiedene. Zum Teil liegen sie in den Ländern selbst. Serbien zum Beispiel machte im Bereich Rechtsstaat jüngst eher Rück- als Fortschritte. Andere Probleme sind bilateral, Nordmazedonien wird etwa nach wie vor von Bulgarien blockiert.
Aber selbst, wenn diese Probleme morgen gelöst und vonseiten der Westbalkanländer alle Bedingungen erfüllt wären, wäre die EU noch nicht bereit, sie alle aufzunehmen, sagen viele Experten. Die Debatte darüber, wie die Union sich verändern müsste, damit ihre Arbeitsweisen auch mit mehr als 30 Mitgliedsstaaten noch immer oder idealerweise sogar besser als derzeit funktionieren, läuft aber eher zögerlich. Woran liegt das und welche Reformen stehen überhaupt im Raum?
Institutionelle Reformen
Einerseits geht es um institutionelle Reformen. Laut Dominic Maugeais vom Institut für Europäische Politik (IEP) mit Sitz in Berlin müsste die Entscheidungsfindung innerhalb der EU effizienter gestaltet werden.
Insbesondere die Vetomöglichkeiten sollten abgebaut werden. Außerdem: „Die Anzahl der Kommissare und der Abgeordneten im Europaparlament kann nicht proportional wachsen, da müsste man sich ebenfalls neue Modelle überlegen“, sagt der Politikwissenschafter.
Vorschläge dazu hat zum Beispiel 2023 eine deutsch-französische Arbeitsgruppe aus zwölf Experten, darunter auch IEP-Direktorin Funda Tekin veröffentlicht. Sie empfiehlt, dass das EU-Parlament das Limit von 751 Abgeordneten beibehält. Und Kommissarsposten könnte man demnach zum Beispiel nach jeweils zweieinhalb Jahren Amtszeit wechseln, um funktionsfähig zu bleiben.
Qualifizierte Mehrheit statt Einstimmigkeit
Die Gruppe spricht sich auch für qualifizierte Mehrheits- statt Einstimmigkeitsentscheidungen in mehr Bereichen aus, nicht aber bei verfassungsrechtlichen Entscheidungen.
Natürlich sei es nicht einfach, sich hier auf eine Regelung zu einigen. „Einerseits, weil es politische Repräsentations- und Verteilungskämpfe in der EU gibt und Mitgliedsstaaten nicht auf ihre Vetomöglichkeit verzichten wollen, weil sie damit im Zweifel politischen Druck ausüben können.“
Das hänge immer vom Thema ab, in der Ukrainepolitik sei es insbesondere Ungarn. In der Erweiterungspolitik würden oft die jeweiligen Nachbarländer mit Vetos drohen oder sie einlegen, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen – wie etwa im Fall des bulgarischen Vetos gegen Nordmazedonien.
Budget müsste anders verteilt werden
Ebenfalls im Raum steht die Frage des Budgets: „In Bezug auf den Westbalkan geht es vor allem um die Verteilung. Die Region wäre kein Nettobeitragszahler, sondern sie bräuchte erst einmal Gelder – und das hätte auch auf andere Staaten Auswirkungen“, so Maugeais. Das müsse man also ausbalancieren und das sei auch machbar, man müsse aber darüber verhandeln.
„Wenn dann ein volkswirtschaftlich größeres Land wie die Ukraine beitritt, würde die ökonomische Integration etwas herausfordernder, gleichzeitig bringen neue Mitgliedsländer wirtschaftliche Dynamik in den Binnenmarkt“, fügt Maugeais hinzu. Am Ende seien Aufnahmeentscheidungen immer politisch.
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